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Um Corona einzudämmen: Gericht entscheidet nicht.

AG Frankfurt a. M., Beschluss vom 8.04.2020, Gz. 456 F 5080/20 UG

Zusammenfassung

Ein Paar lebt miteinander und bekommt einen Sohn. Irgendwann trennen sich die beiden und einigen sich darauf, wann ihr gemeinsamer Sohn mit wem Zeit verbringen darf. Doch da die Vereinbarung nicht eingehalten wird, kann der Vater seinen Sohn kaum sehen. Daher wendet er sich an das Familiengericht. Dieses weigert sich jedoch, zu entscheiden. Begründung: Es will mit seiner Untätigkeit Infektionen mit SARS-CoV-2 verhindern.

Anmerkung

Was kann ein Elternteil unternehmen, wenn Gespräche nichts bringen? Er muss sich an das Familiengericht wenden.

Bis März 2020 waren solchen Fälle noch dringlich zu behandeln – schließlich geht es um das Wohl eines Kindes, dass das Recht auf seine beiden Eltern hat. Das Gericht jedoch beschloss: der Minderjährige hat zu warten. Grund: Die Corona-Infektionslage. Es ist damals April 2020, also ganz am Anfang der Corona-Maßnahmenpolitik, die über drei Jahre andauern soll. Die Entscheidung verkennt,
  1. dass Umgangsverfahren beschleunigt zu behandeln sind – schließlich geht es um die Rechte von Kindern und
  2. dass ein Gericht ein Verfahren nicht einfach auf Eis legen darf, wenn gar nicht gewiss ist, wie lange der Aussetzungsgrund noch andauert oder ob er überhaupt endet.
  3. der Inzidenzwert, welcher Grundlage für die Annahme war, ob sich Infektionen ausbreiten, wenig Aussagekraft hat.

Die Entscheidung des Gerichts:

Tenor

  1. Das Verfahren wird ausgesetzt.
  2. Der Verfahrenswert wird vorläufig auf Euro 3.000,00 festgesetzt.

Tatbestand und Entscheidungsgründe

I.

Der Vater begehrt die erstmalige gerichtliche Regelung von Umgangskontakten in Form eines Wechselmodells.

Die Eltern des Kindes trennten sich Ende August 2017.

Im September 2019 zog der Vater aus der gemeinsamen Wohnung aus. Die neu bezogene Wohnung liegt 700 Meter von der vormalig gemeinsam genutzten Wohnung entfernt.

Umgänge zwischen dem Vater und dem Kind finden statt.

Der Vater trägt vor, die Eltern hätten Anfang 2018 im Rahmen einer Erziehungsberatung für den Fall seines Auszugs aus der gemeinsamen Wohnung ein Wechselmodell vereinbart. In der Erziehungsberatung im November 2019 habe die Mutter zur Überraschung des Vaters erklärt, ein Residenzmodell anzustreben, wonach das Kind mindestens 80 % der Zeit in ihrer Obhut verbringe.

Der Vater begehrt mit anwaltlichem Schriftsatz vom 18.03.2020 folgende Regelung:

Der Kindesvater ist verpflichtet und berechtigt, wöchentlich im Wechsel eine Woche Umgang mit dem gemeinsamen Sohn, XXX, geboren am XXX, zu haben.
Der Wechsel findet jeweils Freitagnachmittag im Hort statt, wo im wöchentlichen Wechsel die Kindeseltern XXX jeden zweiten Freitag nachmittags aus dem Hort abholen und bis zum nächsten Freitag in ihrem jeweiligen Haushalt betreuen.
Sollte XXX an dem jeweiligen Freitag aus gesundheitlichen oder anderen Gründen zu Hause bei der Kindesmutter verbleiben, so holt der Kindesvater XXX bei der Kindesmutter ab.
Für die Wahrnehmung eines Urlaubs mit XXX können beide Beteiligten diesen Zeitraum um einen Tag verlängern. Dieser Tag soll von der darauffolgenden Umgangszeit in Abzug gebracht werden.
Die Kindesmutter ist verpflichtet, dem Kindesvater den Umgang zu ermöglichen und das betreffende Kind zu den benannten Zeiten an den Kindesvater herauszugeben.

Die Mutter begehrt die kostenpflichtige Zurückweisung des Begehrens des Vaters.

Das Gericht hat einen Verfahrensbeistand bestellt und den Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme zur beabsichtigten Aussetzung des Verfahrens gegeben.

II.

Das Verfahren wird nach § 21 Abs. 1 S. 1 FamFG ausgesetzt.

Danach kann das Gericht das Verfahren aus wichtigem Grund aussetzen. Die in § 21 Abs. 1 S. 1 FamFG enthaltenen wichtigen Gründe für die Aussetzung des Verfahrens sind nicht abschließend, wie der Wortlaut „insbesondere“ deutlich macht (so auch KG NJW-RR 2011, 220). Die Aussetzung kann u.a. erfolgen, wenn aus Gründen, die außerhalb des Verfahrens liegen, eine sachgerechte Entscheidung noch nicht möglich ist (MüKoFamFG/Pabst, 3. Aufl. 2018, FamFG § 21 Rn. 1).

Vorliegend kann ohne die gesetzlich vorgesehene persönliche Anhörung der Eltern (§ 160 FamFG) und des fast sieben Jahre alten Kindes (§ 159 Abs. 2 FamFG) und ohne eine Erörterung gemeinsam mit den Eltern, deren Verfahrensbevollmächtigten, dem Verfahrensbeistand und dem Jugendamt in einem Termin (vgl. KG FamRZ 2018, 765), mithin einem Termin, in dem viele Personen gleichzeitig anwesend sein müssen, keine hinreichend sichere Tatsachengrundlage für eine am Kindeswohl orientierte Entscheidung ermittelt werden.

Bei der Ausübung des dem Gericht obliegenden pflichtgemäßen Ermessens sind die Eigenart des Verfahrens und die Interessen der Beteiligten zu berücksichtigen. Unter Abwägung des Interesses des Vaters an der Festlegung eines Wechselmodells einerseits und der aktuell brisanten Lage sowie der zahlreichen Maßnahmen der Landesregierung zur Verhinderung der raschen Verbreitung des Corona-Virus andererseits ist die weitere Verfahrensförderung, insbesondere die Bestimmung eines Termins binnen eines Monats nach Verfahrensbeginn, wie ihn § 155 Abs. 1 S. 2 FamFG vorsieht, nicht angezeigt, auch wenn die Dritte Verordnung des Hessischen Ministeriums der Justiz zur Bekämpfung des Corona-Virus für Sitzungen und Gerichtstermine eine Ausnahme von der Kontaktsperre vorsieht. Umgang zwischen dem Vater und dem Kind findet statt, wenn auch nicht in dem vom Vater gewünschten Umfang. Eine faktische Präjudizierung, etwa in Form eines Bindungsabbruchs oder einer Entfremdung, steht nicht zu befürchten. Die von den Eltern bereits in Anspruch genommene Beratung konnte das gerichtliche Verfahren zur Regelung des Umgangs nicht abwenden, sodass auch ein Vorgehen i. S. des § 156 Abs. 1 FamFG jedenfalls zum aktuellen Zeitpunkt nicht erfolgsversprechend ist, zumal Beratungsstellen mit Ausnahme von Telefongesprächen aufgrund der Pandemie aktuell faktisch nicht zur Verfügung stehen. Überdies liegen keine Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung vor.

Das Gericht wird das Verfahren wieder aufnehmen, sobald der Grund für die Aussetzung entfallen ist oder die Gesamtabwägung für eine Fortsetzung des Verfahrens spricht. Dies wird insbesondere dann der Fall sein, wenn die Landesregierung die getroffenen Maßnahmen lockert oder aufhebt. Da ein Zeitpunkt hierfür zurzeit noch nicht absehbar ist, wird auf eine Befristung der Aussetzung verzichtet.