Das Urteil wurde durch den bearbeitenen Rechtsanwalt Dr. Christian Knoche, gleichzeitig Vorstand des Vereins Anwälte für Aufklärung, bereitgestellt.
Im Januar 2021 wurde in Fritzlar ein Corona-Spaziergang abgehalten. Dessen Teilnehmer wurden von Ordnungsamtsmitarbeitern und Polizei kontrolliert. Nach der Hessischen Coronaverordnung waren Zusammenkünfte von mehr als zwei Haushalten verboten. Da das Gericht keine Versammlung im Sinne des Art. 8 GG erkennen wollte, wurden die Teilnehmer jeweils zu einer Geldbuße von 200 Euro verurteilt.
Die Entscheidung des Amtsgerichts Fritzlar ist ein eklatantes Beispiel für eine grundrechtsfeindliche, formalistische und rechtsstaatlich bedenkliche Rechtsprechung.
Im Mittelpunkt steht die – man muss es leider so sagen: willkürliche – Verweigerung, den Spaziergang als Versammlung anzuerkennen und damit den Weg für eine Bestrafung zu ebnen. Warum willkürlich? Weil dieseselbe Richterin, denselben Spaziergang in einem Parallelverfahren als Versammlung qualifizierte! So schreibt der Verteidiger Dr. Knoche:
„ (…) in einem Parallelurteil 04 OWi-5686 Js 19810/21 vom 12.11.2021, bei dem es exakt um die gleiche Veranstaltung am 18.01.2021 ging, nahm die gleiche Richterin des Amtsgerichts eine Versammlung an.“
Im völligen Widerspruch dazu und zu den eigenen Feststellungen, vertritt dieselbe Richterin plötzlich die gegenteilige Auffassung. Das ist willkürlich.
Und kaum verwunderlich: es ist auch rechtlich schwach argumentiert. Denn die Feststellung, dass weder eine Anmeldung noch ein Versammlungsleiter vorlagen und kein klarer Versammlungszweck erkennbar sei, ist eine grob vereinfachende Abfertigung Grundrechts auf Versammlungsfreiheit.
Versammlungen sind nämlich selbstverständlich auch dann durch das Grundgesetz geschützt, wenn sie nicht angemeldet sind und keinen Leiter haben. Die pauschale Abqualifizierung als „Spazierengehen“ ignoriert die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, wonach auch spontane Zusammenkünfte ohne Anmeldung vom Schutzbereich des Art. 8 GG umfasst sind (BVerfGE 69, 315). Diese Entscheidung degradiert die Versammlungsfreiheit – entgegen der Rechtsprechung des BVerfG – zu einem bürokratischen Privileg, das nur bei Erfüllung formaler Vorgaben gewährt wird.
Zudem belegen Zeugenaussagen, dass der Spaziergang dem Austausch über Corona-Maßnahmen diente – ein klarer Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung. Im Parallelverfahren sah dieselbe Richterin dies übrigens genau so.
Doch es geht weiter: Indem das Gericht die Coronaverordnung unreflektiert anwendet, ignoriert es den Verhältnismäßigkeitsgrundsatze. Die Verordnung verbot pauschal Zusammenkünfte von mehr als zwei Haushalten, ohne jedoch Ausnahmen für politische Meinungsäußerungen oder spontane Versammlungen zu regeln – ein starker Hinweis auf Unverhältnismäßigkeit. Aber: Das Gericht unterlässt es, die Frage zu prüfen, ob ein solch weitreichender Grundrechtseingriff geeignet, erforderlich und angemessen war, um den Infektionsschutz zu gewährleisten. Warum?
Dieses Verhalten offenbart eine bedenkliche Bereitschaft, staatlichen Maßnahmen ohne kritische Prüfung, also blind zu folgen.
Und erst die Beweiswürdigung!
Die maßgebliche Stützung auf die Aussage des einen Zeugen, der sich kaum an Details erinnern konnte, ist ebenso fragwürdig wie die Abqualifizierung der Aussagen der anderen Zeugen als „unergiebig“, obwohl diese den politischen Charakter der Zusammenkunft nahelegen. Ins Bild dieser „Beweiswürdigung“ passt die unkritische Annahme, dass die Betroffenen Y und Z Teil einer unerlaubten Zusammenkunft waren, obwohl sie angaben, aus privaten Gründen unterwegs gewesen zu sein. Das Gericht unterlässt es, zwischen zufälliger Anwesenheit und aktiver Teilnahme zu differenzieren.
Die Aussage der Zeugin C, ein Ordnungsamtsmitarbeiter habe die Teilnahme am Spaziergang ausdrücklich erlaubt, bevor die Polizei eingeschritten sei, ist ein Skandal, den das Gericht ignoriert. Warum?
Wenn Bürger von einer Behörde die Zustimmung zu einer Handlung erhalten und anschließend sanktioniert werden, handelt es sich um widersprüchliches Verhalten, welches das Vertrauen in den Rechtsstaat beschädigt. Die Weigerung des Gerichts, diesen Vorwurf auch nur ansatzweise aufzuklären, ist ein Verstoß gegen die Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung.
Zudem ignoriert die Entscheidung den gesellschaftspolitischen Kontext der Corona-Pandemie, in dem Proteste gegen Maßnahmen Ausdruck eines legitimen demokratischen Unmuts waren. Die pauschale Abqualifizierung des Spaziergangs als „nicht politisch“ ist realitätsfern und wirkt dementsprechend gekünstelt.
Diese Entscheidung ist ein trauriges Zeugnis für die Unterdrückung legitimer Kritik in einer Demokratie.
Und es gab auf noch eine Verlängerung vor dem OLG. Nach sage und schreibe über 2 Jahren verwarf das OLG Frankfurt a.M. (Einzelrichterin) das Rechtsmittel, im wesentlichen mit der Begründung, „soweit sich die Betroffene (…) auf ihr grundgesetzlich geschütztes Teilnahmerecht an einer ,,spontanen" Versammlung von 13 Personen, nämlich eines (…) nicht angemeldeten ,,Montagsspaziergangs" (Art. 8 Abs.1 GG), beruft, beanstandet sie nur die Beweiswürdigung des Amtsgerichts im Einzelfall unter teilweiser Heranziehung urteilsfremder Umstände, die dem Senat auf die bloße Sachrüge nicht zur Prüfung zugänglich sind“. Mit anderen Worten: das OLG Frankfurt a.M. hat sich einer Überprüfung des Urteils nahezu vollständig verschlossen.
Wofür ist das OLG eigentlich da?
Ich empfehle die Lektüre der Beschwerde (siehe unten auf dieser Seite) des Kollegen Dr. Knoche an das OLG, da er dort als bearbeitender Rechtsanwalt die Schwächen der amtsgerichtlichen Entscheidung rausgearbeitet hat.
Die Betroffenen werden wegen unerlaubter Zusammenkunft in der Öffentlichkeit trotz coronabedingtem Verbot jeweils zu einer Geldbuße von 200,00 Euro verurteilt.
Sie haben die Kosten des Verfahrens zu tragen.
(…)
Aufgrund der ausweislich des Sitzungsprotokolls der Hauptverhandlung durchgeführten Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Gerichts folgender Sachverhalt fest:
Die Betroffenen nahmen am 18.01.2021 um 18:00 Uhr in Fritzlar an einem Spaziergang teil, zu dem über Social Media, insbesondere Telegram, für Montag, den 18.01.2021, 18:00 Uhr, von bislang nicht feststellbaren Personen aufgerufen wurde. Diesem Aufruf waren 13 Personen gefolgt, um damit ihrem Unmut gegen die Corona-Schutzmaßnahmen Ausdruck zu verleihen. Die Teilnehmer verursachten keine Lärmbelästigung. Der Spaziergang begann auf dem Fritzlarer Marktplatz, führte durch die Kasseler Straße (Fußgängerzone), die Straße „Am Hospital“ bis hin zum Parkplatz des Domstadt-Centers, wo die Teilnehmer durch die Ordnungsamtsmitarbeiter V und U, die von Streifenbeamten der Polizeistation Fritzlar unterstützt wurden, kontrolliert wurden, da zum damaligen Zeitpunkt nach § 1 Abs. 1 Satz 1 und 3 der Hessischen Corona-Kontakt- und Betriebsbeschränkungsverordnung Zusammenkünfte im öffentlichen Raum von Personen aus mehr als zwei Familien verboten waren. Eine vorherige Anmeldung des Spaziergangs als Versammlung bei der Ordnungsbehörde erfolgte nicht. Aus der Gruppe der Anwesenden gab sich niemand als Versammlungsleiter zu erkennen.
Die Betroffenen haben ihre Teilnahme an dem Montagsspaziergang nicht in Abrede gestellt. Ihre Teilnahme ergibt sich auch direkt oder indirekt aus ihren Einlassungen. Die Betroffenen Y und Z haben in der Hauptverhandlung erklärt, an jenem Abend spontan zusammen unterwegs gewesen zu sein, wobei die Betroffene Y jeden Abend spazieren gehe. Die Betroffene Z wies darauf hin, dass sie aus sportlichen Gründen spazieren gehe. Unterwegs sei man dann auf eine Personengruppe (mehr als zwei Personen) gestoßen.
Die Betroffene W gab an, dass sie an jenem Abend allein in Fritzlar unterwegs gewesen sei, warum wisse sie allerdings nicht mehr, es könne aber sein, dass sie auf der Bank gewesen sei. Sie habe ihr Konto bei der S-Bank. Gerichtsbekannt befindet sich die Filiale der S-Bank in Fritzlar am Marktplatz.
Hinsichtlich der Betroffenen X erübrigen sich die Ausführungen, da sie gegen das Urteil des Amtsgerichts Fritzlar kein Rechtsmittel eingelegt hat und deshalb gemäß § 77b OWiG insoweit auf die Abfassung von Gründen verzichtet wird.
Im weiteren Verlauf des Abends wurden jedenfalls die vier Betroffenen auf dem Parkplatz des Domstadt-Centers in Fritzlar angetroffen. Es wurden durch die Ordnungsbeamten ihre Personalien festgestellt. Hierzu hat der Zeuge V in der Hauptverhandlung bekundet, dass die Personen, die augenscheinlich sich zuvor auf dem Marktplatz zusammengefunden hätten, auf dem Parkplatz des Domstadt-Centers angetroffen worden seien und eben dort ihre Personalien festgestellt worden seien.
Der Zeuge V konnte sich an die Personen im Einzelnen zwar nicht mehr erinnern, ihm war auch nicht erinnerlich, ob die Route des Spaziergangs über die Gießener Straße oder die Kasseler Straße zum Domstadt-Center-Parkplatz ging. Dass an jenem Abend die Betroffene W zugegen war, konnte der Zeuge V allerdings in aller Klarheit sagen. Er gab an, Frau W zu kennen, da sie dann auch in den folgenden Wochen bei angemeldeten Demos dabei gewesen sei. Die Aussagen der Zeugen A, B, C und D waren hinsichtlich der Anwesenheit der Betroffenen am 18.01.2021 unergiebig.
Nach den Aussagen der Zeugen A, B und C war Sinn und Zweck des gemeinsamen Spaziergangs der gemeinschaftliche Austausch über die Corona-Schutzmaßnahmen.
Der Zeuge A hat in der Hauptverhandlung bekundet, dass sie sich mit Leuten getroffen hätten und sich über Corona-Maßnahmen unterhalten hätten. Viele hätten es kritisch gesehen. Das ganze Infektionsschutzgesetz sei gesetzeswidrig und heute wisse man ja, dass es falsch gewesen sei. Auch kritische Ärzte hätten geschrieben, dass die ganzen Sachen nichts bringen würden. Sie hätten über die Thematik geredet und es sei für sie klar gewesen, dass die Inzidenzwerte nur eine Farce gewesen seien. Es habe ein Schriftstück aus dem Bundesinnenministerium gegeben, in dem stehe, wie man Angst und Schrecken verbreiten könne. Sie hätten ja auch alle kein Corona gehabt. Die Inzidenzwerte seien eine glatte Lüge und die ganzen Beschränkungen seien immer auf Basis der Inzidenzwerte beschlossen worden. Es sei sein Recht als Bürger dieses Staates, sich mit anderen Menschen zu treffen. Nach Artikel 20 Abs. 4 sei er hier kein Leibeigener und nur, weil ARD und ZDF es ständig gesagt hätten, sei es noch lange nicht richtig. Das RKI sage auch als (im Sinne von fortwährend) etwas anderes. Die Sachen seien nie ganz falsch, aber es habe für den Bürger immer fatal ausgesehen. Wenn es keine Sterblichkeit gebe, dann gebe es auch keine Pandemie. Sie hätten schon Abstand gehalten und hätten sich nicht ständig geküsst, seien aber auch nicht in Panik geraten, welche ja ständig verbreitet worden wäre. Was da laufe, sei Hochverrat. Am Schluss seien sie von der Polizei und dem Ordnungsamt am Einkaufszentrum in der Nähe des E-Marktes umstellt und eingekreist worden. Dort seien ihre Personalien aufgenommen worden. Es seien mindestens vier Beamte der Polizei vor Ort gewesen. Sie seien zwischen dem E-Markt und der Drogerie, in Höhe von D-Markt zusammengetrieben worden. Er wisse, dass er bei dem Spaziergang in der Woche darauf nicht dabei gewesen sei.
Der Zeuge B hat in der Hauptverhandlung ausgesagt, dass er im Bioladen gewesen und sich hinzugesellt hätte und dann gelaufen sei, zur gesundheitlichen und geistigen Ertüchtigung bis zum Einkaufszentrum. In dieser Zeit habe es nur wenige Menschen gegeben, mit denen er vernünftig habe reden können. Er könne sich nicht mehr genau daran erinnern, über was sie geredet hätten. Es sei ja kein Geheimnis, dass die Menschen in vielen Städten, bis heute immer noch spazieren gingen und sich mit Menschen träfen, da sie der Meinung seien, dass vieles schieflaufe. Diese Ideologie und die Corona-Maßnahmen seien auch von hochrangigen Politikern angezweifelt worden, da sie der Meinung seien, dass die Maßnahmen sinnlos gewesen seien. Sein Arzt habe ihm als Kind schon beigebracht, dass er sich an der frischen Luft bewegen solle. Ein guter Freund von ihm habe jetzt im Alter von 60 Jahren einen Tumor im Kopf, vielleicht hätte er sich mal die Nebenwirkungen durchlesen sollen. Sie seien dort (auf dem Domstadt-Center-Parkplatz) überfallen worden. Sie seien vom Ordnungsamt beobachtet worden und sie (das Ordnungsamt) hätten dann die Polizei gerufen. Die Fahrzeuge seien angerast gekommen, sie seien kontrolliert worden und ihre Personalien seien aufgenommen worden. Anschließend sei er nach Hause gegangen. Das Stichwort „Kerzen“ sage ihm nichts. Er wisse auch nicht mehr, ob er eine Kerze dabeigehabt habe, dafür sei es schon zu lange her. Ihm sei auch zugetragen worden, dass der Staatsanwalt in der Verhandlung gegen ihn als Betroffenen auf dem Flur geäußert hätte, dass er der erste wäre, der hier gegrillt werden würde.
Die Zeugin C hat in der Hauptverhandlung bekundet, dass es ein schöner Abend gewesen sei und sie habe sich mit ihrem Kind ein Eis geholt. Als sie auf dem Parkplatz angekommen seien, sei auch schon die Polizei gekommen und ein Mann sei auf den Boden geschmissen worden. Sie sei auch zweimal angeschrien worden. Sie habe ihre Personalien bekannt gegeben und sei danach gegangen. Es seien viele Polizeibeamte und auch Beamte des Ordnungsamtes vor Ort gewesen. Zuvor habe sie einen Herrn vom Ordnungsamt gefragt, ob man mitlaufen dürfe und dies sei von ihm bejaht worden. Sie wisse noch, dass es sehr kalt gewesen sei, aber ob die heutigen Betroffenen dabei gewesen seien, könne sie nicht mehr sagen. Sie sei von einem der Polizisten angeschrien worden. Sie hätte den älteren Herrn vom Ordnungsamt direkt am Rathaus gefragt, als dieser mit seinem Kollegen im Auto gesessen hätte. Ihr Mann sei auch noch dabei gewesen und auch die Woche zuvor hätten sie zuvor gefragt und es sei ihnen jedes Mal gesagt worden, dass es kein Problem wäre, dort mitzulaufen. Sie hätte gefragt, ob sie mit den Leuten, die dort langliefen, spazieren gehen könne. Sie habe gewusst, dass man, wenn einem etwas nicht gefällt, montags spazieren gehe und die Polizei wisse auch davon. Sie habe gehofft, dass der Montagsspaziergang stattfinden würde und auch, dass diese Personen die gleiche Einstellung wie sie haben würden. Auch im Fernsehen habe man davon gehört, dass montags diese Treffen stattfänden. An diesem Tag sei es sehr kalt gewesen, sie seien in Richtung Eisdiele gelaufen und hätten sich ein Eis gekauft. Von den anderen Spaziergängern hätten sich auch einige ein Eis geholt. Das Stichwort „Kerze“ sage ihr nichts. Auf dem Auto habe Ordnungsamt gestanden und die Herren hätten auch Uniformen angehabt. Ihr Mann habe gefragt, ob es in Ordnung wäre, dort mitzulaufen und dies sei bejaht worden. Die Herren vom Ordnungsamt hätten die Polizei informiert, also sei es eine Falle gewesen. Es habe der ältere Herr vom Ordnungsamt gesprochen. Sie habe den Eindruck gehabt, dass es legal wäre, dort mitzulaufen. Ihr Rechtsanwalt habe ihr gesagt, dass es keinen Sinn machen würde, etwas dagegen ausrichten zu wollen, daher bezahle sie die Geldbuße. (Die Betroffene hat den Einspruch gegen den gegen sie gerichteten Bußgeldbescheid zurückgenommen). Bei der ersten Verhandlung (gemeint ist die gegen den damaligen Betroffenen B) habe sie interessant gefunden, dass der Staatsanwalt gesagt habe, dass sie gegrillt werden würden. Ja, der Staatsanwalt habe bei dem Verfahren gegen Herrn B gesagt, dass Herr B der erste wäre, welcher gegrillt werden würde. Als der Staatsanwalt dies von sich gegeben habe, sei Herr B schon draußen gewesen, sie sei schon da gewesen. Diese Äußerung sei von mehreren Personen gehört worden.
Die Zeugin D hat in der Hauptverhandlung bekundet, dass sie an dem Tag in Fritzlar am Marktbrunnen gewesen sei. Sie sei anschließend durch die Stadt gelaufen und sei dann am Einkaufszentrum von der Polizei gestoppt worden. Sie hätten ihren Ausweis sehen wollen und es seien ihre Personalien aufgenommen worden, da sie an einer unangemeldeten Versammlung teilgenommen hätten, aber so richtig sei es ihnen nicht gesagt worden. Sie habe an keiner Versammlung teilgenommen. Sie sei vom Parkplatz allein zum Marktplatz gegangen und habe dort eine ältere Frau getroffen. Sie hätten festgestellt, dass sie den gleichen Weg hätten und so seien sie diesen gemeinsam gegangen. Sie habe diese Dame gar nicht gekannt, aber sie hätte gesagt, dass sie aus Bad Wildungen kommen würde. Als sie am Domstadt-Center angekommen seien, sei dort schon die Polizei sowie mehrere Menschen gewesen und dort seien sie einfach zusammengeschoben worden. Zuvor habe sie keinen dieser Personen gesehen.
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass die Betroffenen die Tat wie festgestellt begangen haben.
Die Betroffene Z ist der Ansicht, dass im vorliegenden Fall das Versammlungsrecht die Anwendung der Corona-Kontakt- und Betriebsbeschränkungsverordnung verdränge. Eine Versammlung könne nicht aufgrund einer Verordnung, die darüber hinaus auch noch gegen das Zitiergebot verstoße, beschränkt werden. Schlage man im Bundesgesetzblatt 2000, Seite 1045 nach, so erscheine dort ein Gesetz zur Neuordnung seuchenrechtlicher Vorschriften (Seuchenrechtsneuordnungsgesetz-SeuchRNeuG).
Die Betroffenen haben sich nach den Feststellungen des Gerichts der Ordnungswidrigkeit der unerlaubten Zusammenkunft in der Öffentlichkeit trotz coronabedingtem Verbot schuldig gemacht. Dass das Grundrecht der Versammlungsfreiheit nicht uneingeschränkt gilt, ergibt sich ausdrücklich aus Artikel 8 Abs. 2 des Grundgesetzes, wo es heißt: „Für Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes beschränkt werden.“ Dabei ist aber das Versammlungsgesetz nicht die einzige Einschränkung der Versammlungen unter freiem Himmel. Auch die Corona-Kontakt- und Betriebsbeschränkungsverordnung fällt darunter. Letztere wird auch nicht verdrängt durch das Versammlungsgesetz. Dass eine rechtmäßig durchgeführte Versammlung im Rahmen der geltenden Gesetze durchzuführen ist, versteht sich von selbst. Beispielsweise verdrängt das Versammlungsgesetz auch nicht das BtMG, wobei aber z. B. der Handel mit Betäubungsmitteln während einer Versammlung keinesfalls erlaubt ist. Im vorliegenden Fall können sich die Betroffenen aber auch ohnehin nicht auf das Versammlungsgesetz berufen, da nach den in der Hauptverhandlung getroffenen Feststellungen die verfahrensgegenständliche Zusammenkunft weder als Versammlung bzw. Demonstration angemeldet noch ein Versammlungsleiter, der die Verantwortung für die ordnungsgemäße Durchführung der Versammlung bzw. Demonstration übernimmt, identifizierbar war. Darüber hinaus war ein Versammlungszweck bzw. die Aussage einer Demonstration nicht erkennbar. Dies folgt insbesondere aus der Aussage des Zeugen V, der in der Hauptverhandlung angegeben hat, dass im Rahmen der Personalienaufnahme von den Betroffenen geäußert worden sei, dass sie sich zum Spazierengehen träfen. Ein Spazierengehen beinhaltet aber nicht ohne weiteres eine politische Meinungsbildung bzw. einen Beitrag zur politischen Meinungsbildung oder -äußerung. Auch nach dem Versammlungsbegriff des Bundesverfassungsgerichts sieht dieses Gericht in der hier festgestellten Zusammenkunft keine Versammlung im Sinne des Artikel 8 Grundgesetz. Danach ist eine Versammlung im Sinne des Artikel 8 GG eine örtliche Zusammenkunft mehrerer Personen zur gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung. Dass dies allein durch einen Spaziergang mehrerer Leute nicht ohne weiteres erfüllt ist, liegt auf der Hand. Die Erkennbarkeit der auf Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung ist nach Auffassung dieses Gerichts ein nicht zu vernachlässigendes Kriterium. Denn dies hätte andernfalls zur Folge, dass jede Kaffeerunde, in der gesellschaftspolitische Fragen diskutiert werden, zur Versammlung hochstilisiert werden würde. Was dann allerdings auch entsprechende Anmeldepflichten und Genehmigungserfordernisse nach sich ziehen würde, was sich wiederum aus dem Versammlungsgesetz ergibt. Denn das Versammlungsgesetz verlangt gerade die Anmeldung einer Versammlung bzw. Kundgebung/Demonstration und die Bestimmung eines Versammlungsleiters. Dass es sich bei der Anmeldung nicht um eine reine Formsache handelt, ergibt sich bereits daraus, dass § 25 des Versammlungsgesetzes sogar unter Strafe stellt, wenn der Leiter einer öffentlichen Versammlung unter freiem Himmel die Versammlung wesentlich anders durchführt, als die Veranstalter bei der Anmeldung angegeben haben oder Auflagen nach § 15 Abs. 1 oder 2 des Versammlungsgesetzes nicht nachkommt. Nach § 26 des Versammlungsgesetzes wird mit Freiheitsstrafe bis zu 1 Jahr oder Geldstrafe bestraft, wer als Veranstalter oder Leiter eine öffentliche Versammlung unter freiem Himmel oder einen Aufzug ohne Anmeldung (§ 14 Versammlungsgesetz) durchführt. Diese beiden Strafnormen machen deutlich, dass der Anmeldung und der Bekanntgabe des Versammlungsleiters ein beachtlicher Stellenwert zukommt und somit bei der rechtlichen Beurteilung einer Zusammenkunft durchaus von Bedeutung ist. Dagegen mutet die Auffassung der Betroffenen Z nach der Anwendung der Rosinentheorie an, das heißt, es werden nur die für sie – zumindest scheinbar – günstigen Aspekte einer Versammlung in die Bewertung eingestellt und das Gesamtbild gänzlich aus den Augen verloren. Ob die Corona-Kontakt- und Betriebsbeschränkungsverordnung gegen ein Zitiergebot verstößt, hat das Amtsgericht nicht von der Anwendung der Verordnung abzuhalten, da es nicht in das Belieben eines Richters am Amtsgericht gestellt werden kann, ob er eine Norm für rechtmäßig zustande gekommen hält oder nicht. Diese Entscheidung obliegt allein den hierzu berufenen Gerichten. Dieses Gericht sah auch keine Veranlassung zur Einleitung eines Normenkontrollverfahrens. Denn dieses Gericht vermag einen Verstoß gegen das Zitiergebot nicht zu erkennen. Der vom Verteidiger E vorgelegte Ausdruck des Gesetzes Bundesgesetzblatt 2000, 1045, enthält in der Tat ein Gesetz mit der Überschrift „Gesetz zur Neuordnung seuchenrechtlicher Vorschriften (vom 20.07.2000). Beim Weiterlesen unter Art. 1 offenbart sich allerdings, dass die folgenden Vorschriften das Gesetz zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz-IfSG) beinhaltet. Dort ermächtigte § 32 des Infektionsschutzgesetzes zum Erlass von Rechtsverordnungen. Jene Vorschrift ist auch in der Corona-Kontakt- und Betriebsbeschränkungsverordnung zitiert.
Nach alledem waren die Vorschriften der Corona-Kontakt- und Betriebsbeschränkungsverordnung, hier insbesondere § 1 Abs. 1 S. 1 u. 3 und § 8 Abs. 1 Nr. 1, keineswegs durch andere gesetzliche Regelungen, auch nicht durch das Versammlungsgesetz, verdrängt. Die Betroffenen haben sich danach der unerlaubten Zusammenkunft in der Öffentlichkeit trotz coronabedingtem Verbot gemäß § 73 IfSG i.V.m. § 1 Abs. 1 S. 1 u. 3, § 8 Abs. 1 Nr. 1 Corona-Kontakt- und Betriebsbeschränkungsverordnung schuldig gemacht. Das Gericht hat gegen die Betroffenen jeweils eine Geldbuße von 200,00 Euro festgesetzt. Bei der Festsetzung der Höhe der Geldbußen hat das Gericht berücksichtigt, dass die Betroffenen eigenen Angaben zufolge die Abstandsregeln eingehalten haben. Hinzu kommt, dass die Tat bereits geraume Zeit zurückliegt. Das Gericht sah deshalb keine Veranlassung, die im Bußgeldbescheid festgesetzte Höhe von 200,00 Euro anzuheben.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 46 OWiG, 465 StPO.
Begründung der Rechtsbeschwerde
In der Bußgeldsache
gegen: Z u.a.
[...] 94 OWi-7683 Js 20130/21
- Az. OLG: n.n. -
begründe ich den mit Schriftsatz vom 25.11.2022 eingelegten Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde für Z als vorsorglich eingelegte Rechtsbeschwerde wie folgt:
I. Verstoß gegen das Zitiergebot des Art. 80 GG:
Der hier maßgebliche Bußgeldbescheid vom 16.02.2021, der zu einer Verurteilung der Betroffenen durch das Amtsgericht führte, verstößt gegen das Zitiergebot des Art. 80 GG. Dort heißt es im Absatz 1:
Durch Gesetz können die Bundesregierung, ein Bundesminister oder die Landesregierungen ermächtigt werden, Rechtsverordnungen zu erlassen. Dabei müssen Inhalt, Zweck und Ausmaß der erteilten Ermächtigung im Gesetz bestimmt werden. Die Rechtsgrundlage ist in der Verordnung anzugeben. Ist durch Gesetz vorgesehen, dass eine Ermächtigung weiter übertragen werden kann, so bedarf es zur Übertragung der Ermächtigung einer Rechtsverordnung.
Im Bußgeldbescheid wird Z vorgeworfen, eine Zuwiderhandlung gegen das Verbot nach § 1 Abs. 1 Satz 1 und 3 der Corona-Kontakt- und Betriebsbeschränkungsverordnung begangen zu haben. In der maßgeblichen Verordnung heißt es (Lesefassung Stand 1. Dezember 2020):
„Aufgrund des
- § 32 Satz 1 in Verbindung mit § 28 a des Infektionsschutzgesetzes vom 20. Juli 2000 (BGBl. I S. 1045), zuletzt geändert durch Gesetz vom 18.11.2020 (BGBl. I S. 2397),
- 2. (...)
verordnet die Landesregierung:
Schlägt man nun das Bundesgesetzblatt Jahrgang 2020 I S. 1044 und 1045 auf, findet sich dort nur ein „Gesetz zur Förderung der beruflichen Weiterbildung im Strukturwandel und zur Weiterentwicklung der Ausbildungsförderung vom 20.05.2020“ (vgl. Anlage 1 zum Protokoll vom 24.11.2022). Dort finden sich weder die Ermächtigungsgrundlagen des § 32 Satz 1 IfSG noch des § 28 a IfSG. Damit ist die Rechtsgrundlage in der maßgeblichen Verordnung nicht ausreichend benannt. Insoweit liegt ein Verstoß gegen das grundgesetzlich normierte Zitiergebot vor.
Nach dem Grundsatz „nulla poena sine lege scripta“ hätte das Amtsgericht nicht zu einer Verurteilung der Betroffenen kommen dürfen.
II. Tatbestand des § 1 Abs. 1 Satz 1 und 3 der Corona-Kontakt- und Betriebsbeschränkungsverordnung nicht erfüllt:
Selbst wenn die Corona-Kontakt- und Betriebsbeschränkungsverordnung hier Anwendung finden würde, ist der Tatbestand des § 1 Abs. 1 Satz 1 und 3 von der Betroffenen nicht erfüllt, weder objektiv noch subjektiv.
Im angefochtenen Urteil sowie im Bußgeldbescheid wird der Betroffenen vorgeworfen, sie habe sich einer unerlaubten Zusammenkunft in der Öffentlichkeit trotz coronabedingtem Verbot schuldig gemacht. Die damalige Regelung der Corona-Kontakt- und Betriebsbeschränkungsverordnung erlaubte jedoch Aufenthalte im öffentlichen Raum entweder alleine oder auch mit den Angehörigen des eigenen oder eines weiteren Hausstandes bis zu einer Gruppengröße von höchstens 5 Personen. Diese Regelung hat Z eingehalten.
Dazu erklärte die mitbetroffene Y:
„(…)
Ich unterhielt mich mit Frau Z.
(…)
Ich weiß nicht mehr, worüber ich mich mit Frau Z unterhielt.
(…).
Meines Wissens durfte man zu zweit miteinander spazieren gehen und wir waren ja auch nur zu zweit. Wir hielten zueinander ungefähr 30 cm bis 50 cm Abstand (...)“.
Dies bestätigte auch Frau Z, d.h., dass sie nur zu Frau Y näheren Kontakt hatte und alle anderen Vorschriften einhielt. Dass sie sich mit mehr als 5 Personen oder Angehörigen mehrerer Hausstände bewusst getroffen hat und dicht zusammen war, ist weder belegt noch von irgendeinem Zeugen bestätigt worden. Damit ist der objektive Tatbestand des § 1 Abs. 1 der Corona-Kontakt- und Betriebsbeschränkungsverordnung der damaligen Fassung schon nicht erfüllt.
Die Betroffene handelte auch nicht vorsätzlich.
III. Versammlungsrecht nicht beachtet:
Im vorliegenden Fall hat das Versammlungsrecht die Anwendung der Corona-Kontakt- und Betriebsbeschränkungsverordnung verdrängt. Insoweit beruft sich die Betroffene auf den Beschluss des 1. Senats des BVerfG vom 17.04.2020 (Az. 1 BvQ 37/20 - zitiert nach juris). In den dortigen Orientierungssätzen des BVerfG heißt es:
1a. Im vorliegenden verfassungsgerichtlichen Eilverfahren muss offen bleiben, ob es von Art. 8 GG gedeckt ist, die Ausübung der Versammlungsfreiheit durch Rechtsverordnung einem grundsätzlichen Verbot mit Erlaubnisvorbehalt zu unterwerfen und die Erteilung einer solchen Erlaubnis in das Ermessen der Verwaltung zu stellen.
1b. Jedenfalls muss, wenn eine derartige Regelung (hier: gestützt auf § 3 Abs. 1, Abs. 6 CoronaVO BW) getroffen wird, im Rahmen der Ermessensausübung dem Grundrecht aus Art. 8 GG Rechnung getragen werden.
1c. Dies erfordert insbesondere eine hinreichende Berücksichtigung der konkreten Umstände des jeweiligen Einzelfalles. Lediglich pauschale Erwägungen, die jeder Versammlung entgegengehalten werden können, werden dem nicht gerecht.
In den Gründen führt das BVerfG aus, Beschränkungen der Versammlungsfreiheit seien deshalb nur nach Maßgabe von § 15 VersG möglich, dessen Voraussetzungen hier nicht erfüllt sind. Anderenfalls laufe dies auf ein mit Art. 8 GG unvereinbares absolutes normatives Versammlungsverbot ohne Prüfung des Einzelfalles hinaus, was nicht zulässig ist.
Weiter ist unter Rn. 23 des zitierten Beschlusses des BVerfG zu lesen:
„(…) Jedenfalls muss, wenn eine derartige Regelung getroffen wird, wie sie in § 3 Abs. 1 und 6 CoronaVO in der in den Stellungnahmen des Landes Baden-Württemberg und der Antragsgegnerin des Ausgangsverfahrens wie auch in der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs vertretenen Auslegung enthält, im Rahmen der Ermessensausübung dem Grundrecht aus Art. 8 GG Rechnung getragen werden“.
Auch die Entscheidung des 1. Senats des BVerfG vom 15.04.2020 bestätigt diese Rechtslage (BVerfG Az. 1 BvR 828/20 - zitiert nach juris). In den dortigen Orientierungssätzen heißt es:
1a. Die Versammlungsfreiheit (Art. 8 Abs. 1 GG) ist verletzt, wenn die Versammlungsbehörde verkennt, dass eine infektionsschutzrechtliche Kontaktbeschränkung (hier: gemäß § 1 Abs. 1 CoronaVO HE) für die Ausübung des durch § 15 Abs. 1 VersG eingeräumten Ermessens gerade auch zur Berücksichtigung der grundrechtlich geschützten Versammlungsfreiheit einen Entscheidungsspielraum lässt.
1b. Zudem ist Art. 8 Abs. 1 GG dann verletzt, wenn die Versammlungsbehörde über die Vereinbarkeit einer Versammlung mit § 1 CoronaVO HE ohne hinreichende Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalles entscheidet und lediglich Bedenken geltend macht, die jeder Versammlung entgegengehalten werden müssten.
Unzweifelhaft handelte es sich hier bei der Zusammenkunft von mehreren Menschen am 18.01.2021 in Fritzlar (Montagsspaziergang) um eine Versammlung im Sinne des Versammlungsrechts. Im Brokdorf-Beschluss des BVerfG vom 14.05.1985 heißt es (BVerfGE 69, 315):
Das Recht des Bürgers, durch Ausübung der Versammlungsfreiheit aktiv am politischen Meinungsbildungsprozess und Willensbildungsprozess teilzunehmen, gehört zu den unentbehrlichen Funktionselementen eines demokratischen Gemeinwesens. Diese grundlegende Bedeutung des Freiheitsrechts ist vom Gesetzgeber beim Erlass grundrechtsbeschränkender Vorschriften sowie bei deren Auslegung und Anwendung durch Behörden und Gerichte zu beachten.
Die Regelung des Versammlungsgesetzes über die Pflicht zur Anmeldung von Veranstaltungen unter freiem Himmel und über die Voraussetzungen für deren Auflösung oder Verbot (§§ 14, 15) genügt den verfassungsrechtlichen Anforderungen, wenn bei ihrer Auslegung und Anwendung berücksichtigt wird, dass
a) die Anmeldepflicht bei Spontandemonstrationen nicht eingreift und ihre Verletzung nicht schematisch zur Auflösung oder zum Verbot berechtigt,
b) Auflösung und Verbot nur zum Schutz gleichwertiger Rechtsgüter unter strikter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit und nur bei einer unmittelbaren, aus erkennbaren Umständen herleitbaren Gefährdung dieser Rechtsgüter erfolgen dürfen, (...).
Eine Versammlung im Rechtssinne liegt dann vor, wenn sich mehrere Personen treffen, um gemeinschaftlich an der öffentlichen Meinungsbildung teilzuhaben, also um etwas zu erörtern oder kundzutun. Davon geht zunächst auch das Amtsgericht im angefochtenen Urteil aus. Zu Beginn der Urteilsgründe heißt es noch auf Seite 3:
„(…).
Die Betroffenen nahmen am 18.01.2021 um 18:00 Uhr in Fritzlar an einem Spaziergang, zu dem über Social Media, insbesondere Telegram, für Montag, den 18.01.2021, 18:00 Uhr von bislang nicht feststellbaren Personen aufgerufen wurde. Diesem Aufruf waren 13 Personen gefolgt, um damit ihren Unmut gegen die Corona-Schutzmaßnahmen Ausdruck zu verleihen.
(…)“.
Auch in einem Parallelurteil 04 OWi-5686 Js 19810/21 vom 12.11.2021, bei dem es exakt um die gleiche Veranstaltung am 18.01.2021 ging, nahm die gleiche Richterin des Amtsgerichts eine Versammlung an. In dieser Parallelentscheidung heißt es:
„(...)
Diese Zeugen sagten in der Hauptverhandlung übereinstimmend aus, dass sie einem deutschlandweiten Aufruf in den Social Media zu einem Montagsspaziergang – gedanklich angelehnt an die Montagsdemonstrationen in der ehemaligen DDR – gefolgt seien. Demzufolge handelte es sich um ein Treffen von mindestens 7 Personen (die in der Hauptverhandlung erschienenen Zeugen sowie der Betroffene), welches zum Zwecke der Kundgabe der Missbilligung der Corona-Schutzmaßnahmen erfolgte, mithin ein bewusstes Zusammentreffen im öffentlichen Raum
(...)“.
Der Beschluss vom 12.11.2021 (Fall des B) ist in der Anlage beigefügt.
Im völligen Widerspruch dazu und zu den eigenen Eingangsfeststellungen im hier angefochtenen Urteil („dem Aufruf waren 13 Personen gefolgt, um damit ihren Unmut gegen die Corona-Schutzmaßnahmen Ausdruck zu verleihen“) vertritt das Amtsgericht auf den Seiten 8 und 9 der hier angefochtenen Entscheidun plötzlich die gegenteilige Auffassung, auch nach dem Versammlungsbegriff des Bundesverfassungsgerichts sei in der hier festgestellten Zusammenkunft keine Versammlung im Sinne des Artikels 8 GG zu sehen. Anderenfalls hätte dies zur Folge, dass jede Kaffeerunde, in der gesellschaftspolitische Fragen diskutiert werden, zur Versammlung hochstilisiert werden würde.
Dieser Widerspruch ist nicht nachvollziehbar. In einem Urteil wird die Zusammenkunft vom 18.01.2021 in Anlehnung an die Montagsdemonstrationen in der ehemaligen DDR als „Versammlung“ gewertet. In der anderen (hier vorliegenden) Entscheidung soll exakt die gleiche Veranstaltung plötzlich nicht mehr eine Versammlung sein. Was soll nun nach Auffassung der stets gleichen Richterin gelten?
Tatsächlich war die Versammlung (hier: Spontanversammlung) zulässig, durch das Versammlungsrecht geschützt und verdrängte somit die untergeordnete Corona-Kontakt- und Betriebsbeschränkungsverordnung, die am 14.02.2021 – also wenig später – ohnehin außer Kraft trat.
Weiterer Widerspruch zu anderen parallelen Bußgeldverfahren des Amtsgerichts:
In einem weiteren Bußgeldverfahren, bei dem es ebenfalls um einen Montagsspaziergang in Fritzlar ging, verhandelte das Amtsgericht Fritzlar (wiederum unter Vorsitz der gleichen Richterin) gegen den dortigen Betroffenen wegen eines Verstoßes gegen das Versammlungsrecht, nahm also die Anwendbarkeit des Versammlungsgesetzes an.
Beweis: HNA-Artikel / Anlage.
Das Verfahren gegen den Betroffenen wurde eingestellt, weil sich – ähnlich wie hier – kein polizeilicher Zeuge mehr erinnern konnte. Auch im vorliegenden Fall konnte sich der Sachbearbeiter des Ordnungsamtes (…) V in wesentlichen Punkten nicht mehr erinnern (Bl. 216 und 217 d.A.). Gleichwohl wurde die hier Betroffene verurteilt und eine Versammlung verneint. Das Vorgehen des Amtsgerichts erscheint somit doppelt widersprüchlich. Mal wird eingestellt, ein anderes Mal wird trotz des gleichen Sachverhalts verurteilt. Mal wird eine Versammlung angenommen, ein anderes Mal wird eine Versammlung verneint.
Zusammenfassend:
Die amtsgerichtliche Entscheidung hält einer rechtlichen Prüfung nicht stand und wird in vollem Umfang angefochten.
Die maßgebliche Corona-Verordnung enthält einen Verstoß gegen das Zitiergebot des Art. 80 Abs. 1 GG.
Spaziergänge sind und waren nicht verboten, ebenso wenig wie die vielerorts bundesweit durchgeführten Montagsspaziergänge.
Nach den Regelungen des VersG durfte die Betroffene am 18.01.2021 spontan spazieren gehen.
Die Betroffene fragt sich bis heute, was ihr eigentlich vorgeworfen wird. Sie begehrt zumindest eine Einstellung des Verfahrens.
Dr. Knoche
Rechtsanwalt
OBERLANDESGERICHT FRANKFURT AM MAIN
BESCHLUSS
In der Bußgeldsache
g e g e n
Z, (…),
– Verteidiger: Rechtsanwalt Dr. Knoche, Hofgeismar –
w e g e n:
Verstoß gegen Corona-Kontakt- und BetriebsbeschränkungsVO,
hat das Oberlandesgericht Frankfurt am Main – Senat für Bußgeldsachen – durch die Einzelrichterin gemäß §§ 80, 80a OWiG
am 29. Januar 2025 beschlossen:
Der Antrag der Betroffenen auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gegen das Urteil des Amtsgerichts Fritzlar vom 24. November 2022 wird verworfen (§ 80 Abs. 1, 2 OWiG), weil eine Nachprüfung der Entscheidung weder zur Fortbildung des Rechts noch zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung oder wegen Versagung des rechtlichen Gehörs geboten ist (§ 80 Abs. 1 OWiG).
Eine Gehörsrüge oder andere Verfahrensrügen werden nicht in einer den Anforderungen des § 344 Abs. 2 S. 2 StPO genügenden Weise erhoben.
Soweit man den Sachvortrag als konkludent erhobene Sachrüge auslegt, sind aus dem rein auf den Einzelfall zugeschnittenen Vortrag keine Zulassungsgründe erkennbar.
Eine Überprüfung zur Fortbildung des Rechts muss sich immer auf die Zukunft richten. Diese kommt nur bei solchen Rechtsfragen in Betracht, die entscheidungserheblich, klärungsbedürftig und dazu auch noch abstraktionsfähig sind. Bloße Rechtsfehler im Einzelfall begründen die Zulassung nicht.
Auch zur Sicherung einheitlicher Rechtsprechung wird nur zugelassen, was über den Einzelfall hinaus für die Rechtsordnung insgesamt relevant ist. Auch hier reicht bloße fehlerhafte Auslegung oder Anwendung einer Norm nicht. Rechtsfehler führen nur dann zur Zulassung, wenn sie die Tendenz zur Verfestigung aufweisen (vgl. zum Vorstehenden Krenberger/Krumm OWiG 8. Aufl. 2024 § 80 Rdnr. 12 ff.).
Ein Verstoß gegen das Zitiergebot nach Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG liegt nicht vor. Die Ermächtigungsgrundlage des § 32 S. 1 i.V.m. § 28 a Infektionsschutzgesetzes vom 20. Juli 2000 wird zutreffend in der Corona-Kontakt- und BetriebsbeschränkungsVO vom 26. November 2020 in der im Zeitraum vom 11. Januar 2021 bis 22. Januar 2021 gültigen Fassung genannt. Die darin offenkundig rechtschreibfehlerhafte Datierung der Ermächtigungsgrundlage (20. Juli 2020 statt 20. Juli 2000) ist ohne weiteres der Berichtigung zugänglich und daher unbeachtlich und führt nicht zur Nichtigkeit der Verordnung.
Die tatbestandlichen Voraussetzungen von Coronaschutzmaßnahmen und die Zulässigkeit von diesbezüglichen Verordnungen sind geklärt und bedürfen nicht der Zulassung zur Aufstellung von Leitsätzen.
Die hierzu vom Amtsgericht getroffenen konkreten Feststellungen, die vorgenommene Beweiswürdigung und die rechtliche Würdigung werfen klärungsbedürftige Rechtsfragen nicht auf.
Soweit die Betroffene die fehlende objektive tatbestandsmäßige Verwirklichung des § 1 Abs. 1 S. 1 und S. 3 Corona-Kontakt- und BetriebsbeschrVO HE vom 26. November 2020 in der vom 11. Januar 2021 bis 22. Januar 2021 (Tatzeit 18. Januar 2021) geltenden Fassung beanstandet (wonach Aufenthalte im öffentlichen Raum nur im Kreis der Angehörigen des eigenen Haushaltes und mit maximal einer weiteren nicht im Haushalt lebenden Person gestattet waren), da sie nur mit der Betroffenen zu 1) Kontakt aufgenommen habe, sich aber dem widersprechend noch auf ihr grundgesetzlich geschütztes Teilnahmerecht an einer „spontanen“ Versammlung von 13 Personen, nämlich eines nach den Feststellungen des Amtsgerichts geplanten und beworbenen, aber nicht angemeldeten „Montagsspaziergangs“ (Art. 8 Abs. 1 GG), beruft, beanstandet sie nur die Beweiswürdigung des Amtsgerichts im Einzelfall unter teilweiser Heranziehung urteilsfremder Umstände, die dem Senat auf die bloße Sachrüge nicht zur Prüfung zugänglich sind. Der von ihr zitierte Entscheidung des Verfassungsgerichts (1 BvR 828/20) lag eine gänzlich andere tatsächliche Fallgestaltung zugrunde und es waren gänzlich andere Rechtsfragen in einem Verwaltungsstreitverfahren zu prüfen (Frage der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen das städtische Verbot einer angemeldeten Versammlung bei fehlender Einstellung der konkreten Umstände des Einzelfalls).
Die fehlende Kennzeichnung des Schuldvorwurfs stellt ebenfalls einen Fehler im Einzelfall dar.
Die Überprüfung einer Einzelfallentscheidung soll durch das Zulassungsverfahren aber – wie dargelegt – nicht ermöglicht werden.
Mit der Verwerfung des Zulassungsantrags gilt die Rechtsbeschwerde als zurückgenommen (§ 80 Abs. 4 S. 4 OWiG).
Die Betroffene hat die Kosten ihres ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels zu tragen (§ 46 Abs. 1 OWiG, § 473 Abs. 1 StPO).
(…)
Richterin am Oberlandesgericht