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Chronologie der Ereignisse:

Wegen Krankenhausbesuchs: Anklage wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung

AG Quedlinburg, Urteil vom 10.08.2021, Gz. 2 Ds 812 Js 84948/20

Zusammenfassung

Eine Frau wurde wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung angeklagt, weil sie ein Krankenhaus besuchte, obwohl sie schwache Symptome die auch auf eine Covid19-Infektion sprechen könnten. Die Angeklagte besuchte trotz eines COVID-19-Tests ohne Ergebnis am 6. Oktober 2020 ein Krankenhaus und machte dort keine Angaben zu möglichen Symptomen. Sie hatte zuvor schwache Symptome gezeigt, glaubte aber, diese seien Folge einer Grippeschutzimpfung. Am 7. Oktober erfuhr sie von ihrem positiven Testergebnis und meldete dies sofort dem Krankenhaus. Da sie nicht wusste, dass sie infiziert war und kein Vorsatz nachgewiesen werden konnte, wurde sie vom Vorwurf der versuchten gefährlichen Körperverletzung und des Hausfriedensbruchs freigesprochen.

Anmerkung

Die Endentscheidung des Gerichts ist hier gar nicht zu bemängeln. Bemerkenswert ist vielmehr das Verhalten der Staatsanwaltschaft.

Und das aus drei Gründen:

  1. Stellen Sie sich vor: Sie besuchen einen geliebten Menschen im Krankenhaus. Es ging Ihnen schon einmal besser, aber im Großen und Ganzen geht es Ihnen körperlich ok. Aber weil Sie später einen positiven Coronatest haben, landen Sie auf der Anklagebank: Vorwurf versuchte gefährliche Körperverletzung, drohende Strafe: bis zu 5 Jahre Gefängnis.

    Eine Kontrollüberlegung:

    Was wäre passiert, wenn wir nicht über SARS-CoV-2, sondern über Influenza reden würden? Immerhin: Bereits zum damaligen Zeitpunkt hatten mehrere Studien gezeigt, dass beide Erkrankungen eine relativ geringe Infektionssterblichkeit haben (Quelle: WHO, Infection fatality rate of Covid-19 inferred from seroprevalence data, veröffentlich: Oktober 2020).

    Stellen Sie sich also vor, Sie besuchen – etwas müde und mit Kopfschmerzen – Ihr Kind vor einer schweren Operation im Krankenhaus. Später stellt sich heraus, Sie haben einen positiven Influenzatest (was – wie bei SARS-CoV-2 – noch kein Nachweis einer Infektion ist). Rechtfertigt Ihr Verhalten, Sie anzuklagen mit einem Strafrahmen von 5 Jahren Gefängnis? Selbst wenn Sie freigesprochen würden: welch eine enorme Belastung ein solches Verfahren darstellt.

  2. Um die Dame wegen versuchter gefährlicher Köperverletzung bestrafen zu können, hätte sie versuchen müssen, andere Menschen zu schädigen – also mit Vorsatz. Ist die Staatsanwaltschaft wirklich davon ausgegangen, dass die Frau derart kaltschnäuzig mit der Gesundheit anderer Menschen umgeht, nur weil sie sich nicht völlig topfit gefühlt hat? Aus meiner Sicht: eine lebensfremde Unterstellung durch die Staatsanwaltschaft.

  3. Hinzu kommt: die rechtliche Bewertung durch die Staatsanwaltschaft ist abwegig. Wenn überhaupt, dann könnte man das Verhalten der Frau fahrlässig nennen, aber keinesfalls vorsätzlich. Allerdings: es gibt keinen fahrlässigen Versuch. Wer eine Tat versucht, der will die Tat auch – und wenn er nur sagt: „Na wenn schon!“

Die Entscheidung des Gerichts:

Tenor

Die Angeklagte wird auf Kosten der Landeskasse, die auch ihre notwendigen Auslagen trägt, freigesprochen.

Tatbestand und Entscheidungsgründe

(abgekürzt gemäß § 267 Abs. 5 Strafprozessordnung (StPO))

I.

Die Staatsanwaltschaft hat der Angeklagten zur Last gelegt, am 29. und 30. September 2020 eine Trauerfeier in ... im Landkreis ... besucht zu haben und übernachtete dabei in einem Hotel. Am 3. und 4. Oktober stellte sie dann bei sich selbst Krankheitssymptome wie allgemeine Schwäche und leicht erhöhte Temperatur fest und suchte deshalb am 06.10.2020 das Fieberzentrum in ... auf, wo sie einen Test auf COVID 19 machen ließ. Dabei wusste sie, dass das Ergebnis des Tests erst am nächsten Tag vorliegen würde.

Dessen ungeachtet begab sich die Angeklagte am selben Tag in das Harzklinikum ..., um ... zu besuchen. Am Eingang des Klinikums gab sie auf einem Formular an, in den letzten 14 Tagen keinen Kontakt mit Personen gehabt zu haben, die an COVID 19 erkrankt waren und auch keine Krankheitssymptome zu haben, die auf eine solche Erkrankung hindeuten könnten. Dass sie selber den Verdacht hatte, an dieser Krankheit zu leiden, verschwieg sie. Auf dem Formular kreuzte sie weiter an, dass sie das Gebäude verlassen müsse, wenn sie eine der Fragen mit ja beantwortet habe.

Anschließend suchte sie in der Station 17 das Zimmer ... auf. Dort nahm sie bei der Unterhaltung den Mund-Nasen-Schutz ab. Dabei nahm sie billigend in Kauf, ... ... und die zweite Patientin im Krankenzimmer, ... ..., mit der potentiell lebensbedrohlichen Krankheit COVID 19 zu infizieren.

Frau ... musste sich nachfolgend dreier Tests auf COVID 19 unterziehen. Die Operation, der sie sich am nächsten Tag unterziehen sollte, musste abgesagt werden.

Die Verantwortlichen des Harzklinikums haben am 09.10.2020 und am 20.10.2020 Strafantrag gestellt.

II.

In der Hauptverhandlung hat sich folgender Sachverhalt ergeben:

Die Angeklagte hat sich am 16.09.2020 in ... einer Grippeschutzimpfung bei Dr. ... unterzogen. Sie erhielt den Hinweis, dass diese Grippeschutzimpfung anders als bei den früheren Grippeschutzimpfungen zu leichten grippalen Symptomen innerhalb der nächsten 2-3 Wochen führen könne. Sie erhielt weiterhin den Hinweis, dass sie sich melden solle, wenn solche Folgen eintreten.

Am 29. und 30.09.2020 weilte die Angeklagte mit ... bei einer Trauerfeier in ..., wo sie auch übernachtete. Nach einem kurzen Zwischenstopp in ... und ... fuhr die Angeklagte am 30.09.2020 nach Hause.

Am 1. und 02.10.2020 fühlte sich die Angeklagte wohl. Am 03.10.2020 und am 04.10.2020 fühlte die Angeklagter ein eigenartiges Schwächegefühl und am 04.10.2020 hatte die Angeklagte eine Temperatur von 37,1 °C. Sie verschließt den 4. Oktober, nahm am Abend ein Erkältungsbad und eine Aspirintablette.

Am 5. Oktober wies die Angeklagte keine Krankheitssymptome auf. Erst am Abend des 5. Oktober fiel der Angeklagten ein, dass sie sich bei entsprechenden Symptomen bei ihrem Hausarzt Dr. ... melden sollte. Dies wollte die Angeklagte am Morgen des 6. Oktober nachholen. Ihr Hausarzt Dr. ... jedoch nicht erreichbar. Daher rief die Angeklagte die ärztliche Vertretung ihres Hausarztes, Frau Dr. ... ... an. Dort wiederum meldete sich die Sprechstundenhilfe, die der Angeklagten empfahl, für alle Fälle einen Coronatest durchführen zu lassen.

Diesen ließ die Angeklagte am 6. Oktober 14:00 Uhr Test im Fieberzentrum ... durchführen.

Zu diesem Zeitpunkt fühlte sich die Angeklagte vollkommen gesund und wies keinerlei Symptome auf.

Im Fieberzentrum wurde die Angeklagte nicht darüber belehrt, dass sie bis zum Eingang des Ergebnisses des Testes ihre Kontakte beschränken und gegebenenfalls zu Hause bleiben soll. Sie erhielt lediglich ein vorgedrucktes Schriftstück des Labors ... mit Hinweisen zur Bedienung einer App, um dort das Ergebnis des Testes in Erfahrung zu bringen.

Am gleichen Tag, dem 06.10.2020 musste sich ... der Angeklagten, die Zeugin ... einer ... im Harzklinikum ... unterziehen. Die Angeklagte, die selbst eine solche Operation bereits ... hatte und lebensgefährliche Komplikationen auftraten, entschloss sich ... im Harzklinikum zu besuchen.

Am 6. Oktober um 15:10 Uhr traf die Angeklagte im Klinikum ... ein.

Sie füllte die Patienten- und Besuchererklärung des Klinikums aus und erklärte auf die Frage: "Haben Sie erkennbare Symptome einer Covid-19 Erkrankung oder Erkältungssymptome?" "Nein".

Zu dem Zeitpunkt lagen diese nach Angaben der Angeklagten auch nicht vor.

Sie füllte entsprechend ihrer Erkenntnisse auch die Fragen hinsichtlich eines Kontaktes zu oder Personen, die in den letzten 14 Tagen aus dem Ausland zurückgekehrt sind und nach Rückkehr den Quarantänebeschränkungen unterliegen mit "Nein" ebenso wie die Frage "hatten Sie in den letzten 14 Tagen Kontakt zu Covid-19 Infizierten?"

Sie hat diesen Fragebogen selbst unterschrieben und wurde darauf hingewiesen, dass sie das Gebäude zu verlassen habe, wenn sie eine der obenstehenden Fragen mit "Ja" beantwortet habe.

Danach besuchte die AngeKlagte ihre Tochter auf der Station 17. Die Zeugin ... lag allein im Zimmer. Dies wurde durch die Zeuginnen ... und ... bestätigt.

Die Angeklagte hielt sich auf einem Stuhl am Bett oder auf dem Fensterbrett auf.

Die Angeklagte gab selbst an, dass sie des Öfteren den Mund- Nasenschutz nicht korrekt trug, sondern die Maske von der Nase hinunterzog. Dies bestätigten die Zeuginnen ... und ... die dies während der durchgeführten Kreislaufkontrollen feststellten und die Angeklagte auf den korrekten Sitz des Mund-Nasenschutzes hinwiesen.

Die Angeklagte gab an, dass sie Schwierigkeiten mit den Stimmbändern habe und deshalb nicht laut sprechen könne. Daher habe sie den Mund- Nasenschutz von der Nase gezogen. Nach ca. einer Stunde habe sie das Zimmer ... verlassen.

Erst einen Tag später, nämlich am 7. Oktober abends gegen 21:00 Uhr habe sie durch einen Anruf vom Gesundheitsamt von ihrem positiven Coronatestergebnis erfahren.

Spontan äußerte die Angeklagte während dieses Telefonates: "Oh Gott und ich war gestern bei ... im Krankenhaus".

Danach informierte das Gesundheitsamt das Klinikum und dort wurden die entsprechenden Maßnahmen durchgeführt.

Obwohl der Angeklagten mitgeteilt wurde seitens des Gesundheitsamtes in diesem Telefonat, das alles Weitere durch das Gesundheitsamt geregelt wird, informierte die Angeklagte ..., damit dieser im Klinikum die Station 17 informiert. Der ... rief die Station 17 an, dass durch die Zeugin ... auch bestätigt wurde.

Die bei den Zeuginnen ..., welche erst am Morgen des 7. Oktober in das Zimmer der Zeugin ... eingewiesen wurde, und der Zeugin ... durchgeführten Coronatests waren negativ.

Die Angeklagte selbst erklärte, dass es ihr bis zur Mitteilung des positiven Corona Testergebnisses körperlich gut gegangen sei, sie aber erhebliche psychische Probleme gehabt habe.

III.

Sofern die Anklage der Angeklagten versuchte gefährliche Körperverletzung und Hausfriedensbruch vorwirft, ist festzustellen, dass nur eine versuchte vorsätzliche gefährliche Körperverletzung strafbar ist.

Ein versuchte gefährliche fahrlässige Körperverletzung ist nicht strafbar.

Der Vorsatz beinhaltet 2 Begehungsweisen: Den unbedingten Vorsatz und den bedingten Vorsatz (Dolus eventualis).

Ein direkter unbedingter Vorsatz liegt vor, wenn der Täter um das Ergebnis seiner Tat weiß und diesen Erfolg so auch erreichen will.

Der Tatbestandsvorsatz umfasst stets sowohl ein Wissenselement wie auch ein Willenselement.

Von diesem Vorsatz kann hier nicht ausgegangen werden.

Es war daher zu prüfen, ob ein bedingter Vorsatz vorliegt.

Dieser liegt vor, wenn der Täter den Erfolg zwar nicht unbedingt will, sich damit aber ohne weiteres abfindet und den Erfolg als (ggfs. sogar unerwünschte) Nebenwirkung seines Handeln in Kauf nimmt.

Nach der von der Rechtsprechung vertretenen Billigungstheorie liegt ein dolus eventualis vor, wenn der Täter den Taterfolg als Folge seines Handelns ernsthaft für möglich hält und ihn zugleich billigend in Kauf nimmt und sich damit abfindet.

Auch dies liegt hier nicht vor. Die Angeklagte war sich der Verwirklichung der Gefahr nicht bewusst. Die Angeklagte hat nicht damit gerechnet, dass sie Corona positiv ist und ... ... mit der Covid-19 Erkrankung anstecken könnte.· Sie hat dies überhaupt nicht in Erwägung gezogen.

Sie ging davon aus, dass es sich bei den Symptomen vom 3. und 4. Oktober um die Nebenwirkung der Grippeschutzimpfung handelt. Sie ging nicht davon aus, dass sie mit dem Corona-Virus infiziert ist. Dafür spricht, dass die Angeklagte in dem Telefonat mit dem Gesundheitsamt spontan äußerte, dass sie ... am Vortag im Krankenhaus besucht hatte.

Es ist leider nicht gesetzlich geregelt, wie sich die Testperson, hier in diesem Fall die Angeklagte in der Zeit zwischen Test und Vorliegen des Testergebnisses mit der Testperson verhalten soll.

In den vom Bundesministerium für Gesundheit vom 04.06.2021 unter dem Stichwort: "Zusammen gegen Corona die Verhaltensmaßregeln für Infizierte und Getestete" ist vermerkt, dass bei Symptomen die Kontakte zu reduzieren sind.

Wörtlich heißt es: "Solange ihr Testergebnis nicht vorliegt sind Sie, Ihre Haushaltsmitglieder und auch ihre Arbeitskolleginnen und Kollegen, mit denen Sie in letzter Zeit direkten Kontakt hatten, nicht verpflichtet sich in Quarantäne zu begeben. Es sei denn, das Gesundheitsamt hat dies angeordnet. Dennoch ist es sinnvoll, dass Ihre Kontaktperson ebenfalls Ihre Kontakte reduzieren, möglichst zu Hause bleiben und sich umsichtig verhalten bis Ihr Testergebnis vorliegt."

Genauso empfiehlt es das Robert-Koch-Institut bei seiner Orientierungshilfe für Bürgerinnen und Bürger unter dem Stichwort Covid-19: "Bin ich betroffen und was ist zu tun?" Dort heißt es unter Schritt 4: "Bei erfolgten ambulanten Test warten Sie das Ergebnis ab!" Unter Punkt 8. heißt es: "Halten Sie in der Wartezeit weiterhin die wichtigen Grundregeln (Schritt 1) und die Empfehlung Ihres Arztes/Ihrer Ärztin. Im Schritt 1 heißt es: "bleiben Sie zu Hause und reduzieren Sie direkte Kontakte besonders zu Risikogruppen. Halten Sie mindestens 1 m 50 Abstand und tragen Sie eine Mundnasenbedeckung. Achten Sie auf Ihre Händehygiene sowie die Anwendung der Husten und Niesregeln."

Auch dies sind nur Empfehlungen es ist nicht geregelt, dass man sich zwischen Test und Vorliegen des Testergebnisses in Quarantäne geben muss oder häuslich isolieren muss. D. h. in diesem Fall war die Angeklagte nicht verpflichtet, sich in häusliche Quarantäne zu begeben.

Sie hat nach besten Wissen und Gewissen den Bogen des Klinikums ausgefüllt und ist nicht davon ausgegangen, dass sie Corona positiv ist. Sie hatte keine subjektiven Beschwerden mehr. Sie ging davon aus, dass diese Beschwerden auf die Grippeschutzimpfung zurückzuführen sind und hat keinen Gedanken an ein positives Testergebnis verschwendet.

Der Angeklagten kann also nicht nachgewiesen werden, dass sie mit bedingtem Vorsatz die Taten begangen hat.

Da jedoch eine fahrlässig gefährliche Körperverletzung nicht strafbar ist, war die Angeklagte diesbezüglich freizusprechen. Genauso verhält es sich bei dem Hausfriedensbruch. Auch hier kann der Angeklagten ein Vorsatz nicht nachgewiesen werden.

Die Angeklagte war daher aus rechtlichen Gründen freizusprechen.

IV.

Die Kostenentscheidung beruht auf§ 467 StPO.