Das Urteil wurde durch den bearbeitenen Rechtsanwalt Dr. Christian Knoche, gleichzeitig Vorstand des Vereins Anwälte für Aufklärung, bereitgestellt.
Eine Frau leidet unter einer Herzerkrankung und ist daher von der Maskenpflicht befreit. Im September 2020 begab sich die Dame in ein Möbelhaus, in welchem das Tragen einer Maske grundsätzlich vorgeschrieben war. Ihr wurde zunächst der Einlass verwehrt und statt einer Maske ein Gesichtsvisier angeboten, welches sie aus hygienischen Gründen und Gründen der Stigmatisierung ablehnte.
Die Dame forderte das Möbelhaus später erfolglos schriftlich auf, die Zutrittsverweigerung aufzuheben. Danach verklagte sie das Möbelhaus auf Aufhebung des Zutrittsverbots und Zahlung eines Schmerzensgeldes wegen Diskriminierung.
Das LG Frankfurt wies die Klage ab und begründete dies hauptsächlich damit, dass das Möbelhaus aufgrund seines Hausrechts der Frau den Zutritt habe verwehren dürfen.
Kritikwürdig ist die Entscheidung deshalb, weil sie keine saubere Prüfung des Hausrechts darstellt.
Die Betroffene leidet aufgrund ihrer Herzprobleme unter einer langfristigen Einschränkung ihrer Teilhabe an relevanten Lebensbereichen und damit unter einer Behinderung.
Da sie durch das Möbelhaus ohne Rücksicht auf diese Behinderung wie andere potientielle Kunden behandelt wurde, liegt nach meiner rechtlichen Einschätzung eine Benachteiligung vor. Das Gesichtsvisier ändert dadurch nichts, da sie dadurch stigmatisiert wird. Das Gericht erkennt auch eine Benachteiligung, meint jedoch, sie sei gerechtfertigt.
Da bereits eine Benachteiligung festgestellt wurde, wäre nun besonders sorgfältig zu prüfen gewesen, ob diese gerechtfertigt war.
Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz stellt dazu in § 21 Abs. 1 enge Kriterien auf, nämlich:
Eine Verletzung des Benachteiligungsverbots ist nicht gegeben, wenn für eine unterschiedliche Behandlung wegen (…) einer Behinderung (…) ein sachlicher Grund vorliegt. Das kann insbesondere der Fall sein, wenn die unterschiedliche Behandlung
der Vermeidung von Gefahren, der Verhütung von Schäden oder anderen Zwecken vergleichbarer Art dient, (…)
Es müssen durch die Benachteiligung also Gefahren vermieden werden. Das Gericht stellt aber keinerlei Gefahr fest. Es sagt lediglich ganz pauschal (Zitat):
Die Anordnung
zum Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes beruht auf erkennbar vernünftigen Gründen des Gemeinwohls und ist auch geeignet, in geschlossenen Räumen mögliche Infektionen zu verhindern oder zumindest die Wahrscheinlichkeit hierfür zu senken; mildere Mittel sind nicht ersichtlich (explizit: BVerfG, MDR 2020, 1523 für Maskentragungspflicht im Gerichtssaal).
Das ist aber nicht die Feststellung einer Gefahr.
Treten wir einen Schritt zurück und fragen: Was ist überhaupt eine Gefahr?
Juristisch wird unter einer Gefahr im Allgemeinen ein Zustand verstanden, in dem mit hinreichender Wahrscheinlichkeit besteht, dass ein geschütztes Rechtsgut (z. B. Leben, Gesundheit, Eigentum) verletzt wird, ohne dass die Verletzung bereits eingetreten ist. Freilich, die genaue Definition variiert je nach Rechtsgebiet (Zivilrecht, Strafrecht, Verwaltungsrecht), ist aber durch die potenzielle Schadensnähe und die Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts geprägt.
Wie liegt es aber im vorliegenden Fall?
Hat das Gericht Feststellungen dazu getroffen, wie wahrscheinlich von der Frau eine Gefahr für die Gesundheit ausging?
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages.
Die Parteien streiten über die Aufhebung einer Richtlinie der Beklagten, die den Zugang zu ihren Möbelhäusern nur mit Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes gestattet sowie über die Zahlung eines Entschädigungsanspruchs nach dem AGG.
Deutschland ist seit März 2020 von der Covid-19-Pandemie betroffen. Die Hessische Landesregierung erließ deswegen die Verordnung zur Beschränkung von sozialen Kontakten und des Betriebs von Einrichtungen und von Angeboten aufgrund der Corona-Pandemie (Corona-Kontakt- und Betriebsbeschränkungsverordnung), die u. a. das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung in Verkaufsstätten vorsieht. Die Klägerin leidet an einer Herzerkrankung, die ihr das Atmen erschwert. Aufgrund dieser Erkrankung attestierte ihr ein Arzt, Herr Dr. med. X, dass das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes für die Klägerin aus medizinischen Gründen nicht möglich ist.
Am 25.09.2020 begab sich die Klägerin in die (...)-Filiale (…) bei (…), um Sitz- und Tischmöbel für ihre Familie zu erwerben. Der Eintritt in das Möbelhaus ohne Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung wurde ihr von Mitarbeitern der Beklagten mit der Begründung verweigert, dass ausweislich der damals geltenden Richtlinien des Unternehmens ein Betreten des Möbelhauses auch im Falle des Vorliegens eines ärztlichen Attests nur möglich ist, wenn stattdessen ein desinfiziertes Gesichtsvisier getragen wird, welches die Beklagte den Kunden zur Verfügung stellt. Die Klägerin ekelte sich vor dem Tragen des möglicherweise schon gebrauchten Visiers, lehnte das Tragen ab und verließ unverrichteter Dinge das Gelände der Beklagten. Ob die Klägerin aus medizinischen Gründen kein Gesichtsvisier tragen kann, ist ihr damals wie heute nicht bekannt. Mit Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten forderte die Klägerin Mitte Oktober 2020 von der Beklagten die Aufhebung der Zutrittsverweigerung und die Zahlung einer Entschädigung von 5.000,00 Euro und setzte hierfür eine Frist bis zum 23.10.2020. Die Beklagte lehnte dieses Ansinnen ab.
Die Klägerin behauptet, dass sie eine Mund-Nasen-Bedeckung wegen ihrer Herzerkrankung nicht tragen könne. Sie habe bei Besuch des Möbelhauses das ärztliche Attest dabeigehabt und sei gewillt gewesen, dieses den Mitarbeitern der Beklagten im Bedarfsfall vorzuzeigen.
Sie ist u. a. der Auffassung, dass die Beklagte keine Pflicht zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung als Bedingung für das Betreten ihres Möbelhauses habe statuieren können und ihr das Tragen eines Gesichtsvisiers nicht habe zugemutet werden können, da dies stigmatisierend sei und sie möglicherweise auch durch das Visier in der Atmung beeinträchtigt sei.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, das gegenüber der Klägerin am 25.09.2020 ausgesprochene und durch Einkaufsrichtlinien bekräftigte Zutrittsverbot zum Betreten der (...)-Filiale (…) ohne Mund-Nasen-Bedeckung mit sofortiger Wirkung aufzuheben,
die Beklagte ferner zu verurteilen, es bei Meidung einer Vertragsstrafe von 5.000,00 Euro für jeden Fall der Zuwiderhandlung zu unterlassen, der Klägerin ohne Mund-Nasen-Bedeckung den Zutritt zu der (...)-Filiale (…) zu verweigern,
die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin für die AGG-Diskriminierung vom 25.09.2020 eine angemessene Entschädigung nicht unter 5.000,00 Euro zu zahlen nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 24.10.2020 und
die Beklagte zu verurteilen, die der Klägerin außergerichtlich entstandenen Anwaltskosten in Höhe von 1.058,85 Euro brutto zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte ist u. a. der Auffassung, dass mit der Bereitstellung des Gesichtsvisiers der Klägerin eine zumutbare Alternative zum Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes zur Verfügung gestellt worden sei. Die Beklagte müsse zum Schutz aller Personen, die sich in ihren Möbelhäusern aufhalten, darauf bestehen, dass jeder Eintretende eine Form des Spuck- oder Atemschutzes trage.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und die Sitzungsniederschrift vom 16.04.2021 Bezug genommen.
Die Klage hat keinen Erfolg. Sie ist zulässig, aber unbegründet.
Es bestehen keine Unterlassungs- und Schmerzensgeldansprüche der Klägerin gegen die Beklagte aus § 21 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 3 AGG i. V. m. §§ 1, 2 Abs. 1 Nr. 8, 19 Abs. 1 Nr. 1 AGG bzw. §§ 1004, 823, 826, 253 Abs. 2, 311 Abs. 2 BGB.
Die mit den Anträgen zu 1. und 2. von der Klägerin geltend gemachten Ansprüche stehen ihr gegenüber der Beklagten unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zu.
Denn losgelöst vom Hausrecht der Beklagten galt gem. § 3 Abs. 2 Corona-Kontakt- und Betriebsbeschränkungsverordnung, dass bei Betreten einer Verkaufsstätte, worunter das Möbelhaus der Beklagten fällt, eine Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen ist. Insofern folgen die Richtlinien der Beklagten nur der gesetzlichen Anordnung und sind bzgl. des Tragens einer Mund-Nasen-Bedeckung als solche nicht zu beanstanden.
Die gem. § 1 Abs. 6 S. 3 Corona-Kontakt- und Betriebsbeschränkungsverordnung geltende Ausnahme, aus medizinischen Gründen keine Mund-Nasen-Bedeckung tragen zu müssen, rechtfertigt vorliegend keine andere Bewertung des Sachverhalts, denn die Beklagte konnte über die gesetzliche Anordnung hinausgehen und das Tragen eines Gesichtsvisiers zur Auflage zum Betreten des Möbelhauses machen, da sie sich insoweit auf ihr Hausrecht berufen konnte.
Es besteht nämlich kein Kontrahierungszwang zwischen der Beklagten als Betreiberin eines Möbelhauses und der Klägerin. Eine Hausordnung kann daher vorsehen, dass über die staatlich angeordnete Maskenpflicht hinaus Schutzmaßnahmen zur Ausbreitung des Corona-Virus eingehalten werden müssen.
Begrenzt wird die Möglichkeit der Gestaltung der Hausordnung durch das allgemeine Diskriminierungsverbot, wobei die widerstreitenden Grundrechte gegeneinander abzuwägen sind; Ansprüche kann die Klägerin nur bei Erfüllung der Tatbestandsvoraussetzungen einer gesetzlichen Anspruchsgrundlage stellen.
Vorliegend sind die Tatbestandsvoraussetzungen einer Benachteiligung im Sinne von § 1 AGG nicht erfüllt, da die Hausordnung der Beklagten, die das Tragen eines Gesichtsvisiers als Alternative zur Mund-Nasen-Bedeckung durch eine Maske vorsieht, auf sachlichen Gründen beruht.
Die Anordnung zum Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes beruht auf erkennbar vernünftigen Gründen des Gemeinwohls und ist auch geeignet, in geschlossenen Räumen mögliche Infektionen zu verhindern oder zumindest die Wahrscheinlichkeit hierfür zu senken; mildere Mittel sind nicht ersichtlich (explizit: BVerfG, MDR 2020, 1523 für Maskentragungspflicht im Gerichtssaal).
Nach Ansicht des Gerichts umfasst dies auch das Tragen eines Gesichtsvisiers als Alternative zur Mund-Nasen-Bedeckung, und es war der Klägerin zumutbar, diese Alternative anzunehmen, da der Ekel vor der Benutzung eines gebrauchten Visiers nicht die Gesundheitsgefährdung der sonstigen Möbelhausbesucher und Mitarbeiter der Beklagten rechtfertigen kann. Es versteht sich von selbst, dass jemand, der selbst Ekel vor Bakterien, Viren oder Schmutz empfindet und dies sowohl schriftsätzlich als auch in der mündlichen Verhandlung betont, sich nicht auf den Standpunkt stellen kann, dass hinter diesem Ekelfgefühl Gesundheitsschutzmaßnahmen eines anderen vor einem Virus zurückstehen sollen.
Es kann dahinstehen, ob es im Sinne des AGG diskriminierend ist, das Tragen eines Visiers vorzuschreiben, wenn medizinische Gründe dagegensprechen.
Denn dass die Klägerin ein Visier aus medizinischen Gründen nicht tragen konnte, ist vorliegend nicht widerspruchsfrei dargelegt. In der mündlichen Verhandlung gab die Klägerin – entgegen der schriftsätzlichen Darstellung ihres Prozessbevollmächtigten, zuletzt auch im nachgelassenen Schriftsatz vom 30.04.2021 – an, dass sie gar nicht wisse, ob sie ein Visier aus medizinischen Gründen nicht tragen könne. Sie habe jedenfalls ein solches bisher nicht getragen. Um das Visier gehe es in der mündlichen Verhandlung nun zum ersten Mal. Das Gericht ist davon überzeugt, dass im Gegensatz zur Darstellung der Klägerin in der mündlichen Verhandlung die schriftsätzlichen Behauptungen, dass ein Gesichtsvisier aus medizinischen Gründen nicht getragen werden dürfe, ein Vortragen ins „Blaue hinein“ darstellt, um den Anspruch der Klägerin als gerechtfertigt erscheinen zu lassen. Ein solches Vorgehen verstößt gegen die sich aus § 138 Abs. 1 ZPO ergebende Wahrheitspflicht.
Die Zahlung einer Entschädigung scheitert ebenfalls daran, dass es für das Tragen des Gesichtsvisiers aus den oben genannten Gründen einen sachlichen Grund gab.
Mangels Ansprüchen in der Hauptsache ist auch die von der Klägerin begehrte Erstattung ihrer vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten unbegründet.
Der Vortrag aus dem nachgelassenen Schriftsatz der Klägerin vom 30.04.2021 rechtfertigt keine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung, da keine neuen, entscheidungserheblichen Tatsachen vorgetragen werden. Dass die Beklagte mittlerweile aufgrund neuer Richtlinien nicht mehr die Möglichkeit des Tragens eines Gesichtsvisiers vorsehen soll, findet vorliegend keine Beachtung, da dieser Vortrag einen neuen Klagegrund vorgibt und dies eine unsachdienliche Klageänderung i. S. v. § 263 ZPO ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO, weil die Klägerin vollumfänglich unterliegt.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 S. 1 u. 2 ZPO.