Das Amtsgericht Germersheim verurteilte einen Mann zu einer Geldstrafe von 100 Euro wegen die Coronaverordnung des Landes. Der Vorwurf: Der Mann befand sich gemeinsam mit Jugendlichen aus anderen Haushalten auf einem Spielplatz ohne den Mindestabstand von 1,5 Metern einzuhalten.
Er wehrte sich gegen das Urteil des Amtsgerichts und legte Rechtsbeschwerde ein. Daraufhin entschied das OLG – mit Erfolg.
Das OLG stellte fest, dass die Coronaverordnung erst am 28.03.2020 angepasst wurde, der Vorfall aber bereits am 26.03.2020 stattfand. Das Verhalten des Mannes war zum Tatzeitpunkt also nicht bußgeldbewehrt.
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Germersheim vom 16.06.2021 aufgehoben und der Betroffene freigesprochen.
Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Betroffenen trägt die Staatskasse.
Das Amtsgericht Germersheim hat den Betroffenen wegen Verstoßes gegen §§ 4 Abs. 1 Satz 1, Satz 2, Abs. 2, 12 der 3. Corona-Bekämpfungsverordnung Rheinland-Pfalz (CoBeLVO) (Stand 23.03.2020) i.V.m. § 73 Abs. 1a Nr. 6 IfSG zu einer Geldbuße von 100,00 Euro verurteilt.
In der Sache hat das Amtsgericht folgende Feststellungen getroffen:
Am 26.03.2020 gegen 18:00 Uhr begaben sich der Betroffene mit zwei weiteren Personen (allesamt Jugendliche) aus jeweils verschiedenen Haushalten auf einen Spielplatz auf ein dortiges Karussell und saßen für einige Zeit zusammen, um sich zu unterhalten. Der erforderliche Mindestabstand von 1,5 m wurde dabei nicht eingehalten.
Gegen dieses Urteil wendet sich der Betroffene mit dem Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde mit der er u.a. rügt, dass die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 1 3. CoBeLVO nicht vorlägen.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, den Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde als unbegründet zu verwerfen.
Der für die Bearbeitung zuständige Einzelrichter hat die Rechtsbeschwerde mit Beschluss vom 26.10.2021 zur Fortbildung des Rechts (§ 80 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1 OWiG) zugelassen und die Sache auf den Senat in der Besetzung mit drei Richtern einschließlich des Vorsitzenden übertragen (§ 80a Abs. 3 S. 1 OWiG).
Die zugelassene und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde hat auf die erhobene Sachrüge Erfolg. Sie führt zur Aufhebung der angegriffenen Entscheidung und Freisprechung des Betroffenen.
Das Amtsgericht ist zu Unrecht von der Verwirklichung des Tatbestandes des §§ 4 Abs. 1 Satz 1, Satz 2, Abs. 2, 12 3. CoBeLVO (Stand 23.03.2020) i.V.m. § 73 Abs. 1a Nr. 6 IfSG ausgegangen (zur grundsätzlichen Anwendbarkeit der jeweils zum Tatzeitpunkt geltenden Fassung der CoBeLVO vgl. OLG Koblenz, Beschluss vom 08.03.2021 – 3 OWi 6 SsRs 395/20 –, juris, Rn. 13). Nach der zum Tatzeitpunkt geltenden Rechtslage gab es keinen wirksamen Bußgeldtatbestand, nach dem eine Zuwiderhandlung gegen das Verbot von Ansammlungen und das Abstandsgebot als Ordnungswidrigkeit hätte geahndet werden können. Dabei kann hier offenbleiben, ob die allgemeine Rückverweisung in § 12 der 3. CoBeLVO (Stand 23.03.2020) überdies unzureichend war.
Zur Tatzeit am 26.03.2020 war die 3. CoBeLVO vom 23.03.2020 in Kraft.
Darin heißt es u.a.:
Aufgrund des § 32 Satz 1 in Verbindung mit § 28 Absatz 1 Satz 1 und 2 des Infektionsschutzgesetzes vom 20. Juli 2000 (BGBl. I S. 1045), zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 10. Februar 2020 (BGBl. I S. 148), in Verbindung mit § 1 Nr. 1 der Landesverordnung zur Durchführung des Infektionsschutzgesetzes vom 10. März 2010 (GVBI. S. 55), zuletzt geändert durch § 7 des Gesetzes vom 15. Oktober 2012 (GVBI. S. 341), BS 2126-10, wird verordnet:
...
§ 4
(1) Der Aufenthalt im öffentlichen Raum ist nur alleine oder mit einer weiteren nicht im Haushalt lebenden Person und im Kreis der Angehörigen des eigenen Hausstands zulässig. Zu anderen als den in Satz 1 genannten Personen ist in der Öffentlichkeit, wo immer möglich, ein Mindestabstand von 1,5 Metern einzuhalten. Dem nicht in häuslicher Gemeinschaft lebenden Elternteil ist es erlaubt, sein Umgangsrecht weiterhin auszuüben.
(2) Jede übrige, über Absatz 1 Satz 1 hinausgehende Ansammlung von Personen (Ansammlung) ist vorbehaltlich des Selbstorganisationsrechts des Landtags und der Gebietskörperschaften untersagt. Ausgenommen sind Ansammlungen, die der Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung oder Daseinsvorsorge zu dienen bestimmt sind. ...
...
In § 12 der Verordnung wird allgemein auf die Straf- und Bußgeldvorschriften des 15. Abschnitts des Infektionsschutzgesetzes hingewiesen. Im 15. Abschnitt des Infektionsschutzgesetzes in der zum Tatzeitpunkt geltenden Fassung (Gültigkeitszeitraum vom 01.03.2020 bis 27.03.2020) regelt § 73 die Bußgeldvorschriften u.a. wie folgt:
Nach § 73 Abs. 1a Nr. 6 handelt ordnungswidrig, wer vorsätzlich oder fahrlässig einer vollziehbaren Anordnung nach § 17 Abs. 1, auch in Verbindung mit einer Rechtsverordnung nach Abs. 4 Satz 1, § 17 Abs. 3 Satz 1, § 25 Abs. 3 Satz 1 oder 2, auch in Verbindung mit § 29 Abs. 2 Satz 2, dieser auch in Verbindung mit einer Rechtsverordnung nach § 32 Satz 1, § 25 Abs. 4 Satz 2, § 28 Abs. 1 Satz 1, auch in Verbindung mit einer Rechtsverordnung nach § 32 Satz 1, oder § 34 Abs. 8 oder 9 zuwiderhandelt.
Nach § 73 Abs. 1a Nr. 24 dieser Fassung handelt auch ordnungswidrig, wer vorsätzlich oder fahrlässig einer Rechtsverordnung nach § 13 Abs. 3 Satz 1, § 17 Abs. 4 Satz 1 oder Abs. 5 Satz 1, § 20 Abs. 6 Satz 1 oder Abs. 7 Satz 1, § 23 Abs. 8 Satz 1 oder Satz 2, § 38 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 oder Abs. 2 Nr. 3 oder 5 oder § 53 Abs. 1 Nr. 2 oder einer vollziehbaren Anordnung auf Grund einer solchen Rechtsverordnung zuwiderhandelt, soweit die Rechtsverordnung für einen bestimmten Tatbestand auf diese Bußgeldvorschrift verweist.
§ 73 IfSG differenziert zwischen Vorschriften, die unmittelbar an gesetzliche Ver- oder Gebote knüpfen (ggf. konkretisiert durch eine Rechtsverordnung), den Verstoß gegen eine vollziehbare Anordnung (Einzelverwaltungsakte und Allgemeinverfügungen) oder direkt den Verstoß gegen eine Rechtsverordnung. § 73 Abs. 1a Nr. 6 IfSG (a.F. und n.F.) regelt die Ahndung als Ordnungswidrigkeit bei Verstößen gegen vollziehbare Anordnungen, u.a. nach § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG auch in Verbindung mit einer Rechtsverordnung nach § 32 Satz 1 IfSG. § 73 Abs. 1a Nr. 24 IfSG (a.F. und n.F.) hingegen erfasst als Ordnungswidrigkeit die Zuwiderhandlung gegen eine Rechtsverordnung oder gegen eine Zuwiderhandlung aufgrund einer solchen Rechtsverordnung, soweit die Rechtsverordnung für einen bestimmten Tatbestand auf diese Bußgeldvorschrift verweist. Ein Verstoß unmittelbar gegen eine in einer Verordnung getroffene Regelung, ohne dass es zuvor noch einer vollziehbaren (behördlichen) Anordnung (regelmäßig wohl: Aufforderung zur Beendigung des Verstoßes) bedarf, ist nur unter den Voraussetzungen des § 73 Abs. 1a Nr. 24 Alt. 1 IfSG als Ordnungswidrigkeit ahndbar. Ansonsten bedarf es zunächst einer vollziehbaren (behördlichen) Anordnung (vgl. Lorenz/Oğlakcioğlu in Kießling, Infektionsschutzgesetz: IfSG, 2. Auflage, Rn. 2 ff., 11f. m.w.N.).
Erst mit der Änderung des IfSG am 27.03.2020 (Geltungszeitraum vom 28.03.2020 bis 22.05.2020) wurde § 73 Abs. 1a Nr. 24 IfSG wie folgt erweitert:
Ordnungswidrig handelt danach, wer vorsätzlich oder fahrlässig einer Rechtsverordnung nach § 5 Abs. 2 Nummer 4 Buchstabe c, d, e, g oder Nummer 8 Buchstabe c, § 13 Abs. 3 Satz 1, § 17 Abs. 4 Satz 1 oder Abs. 5 Satz 1, § 20 Abs. 6 Satz 1 oder Abs. 7 Satz 1, § 23 Abs. 8 Satz 1 oder Satz 2, § 32 Satz 1, 38 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Nummer 3 oder § 38 Absatz 2 Nr. 3 oder Nummer 5 oder § 53 Abs. 1 Nr. 1 Nummer 2 oder einer vollziehbaren Anordnung auf Grund einer solchen Rechtsverordnung zuwiderhandelt, soweit die Rechtsverordnung für einen bestimmten Tatbestand auf diese Bußgeldvorschrift verweist.
Da § 32 Satz 1 IfSG als Ermächtigungsgrundlage der Verordnung erst mit der Gesetzesänderung vom 27.03.2020 in den Katalog des § 73 Abs. 1a Nr. 24 IfSG aufgenommen wurde, konnte zum Zeitpunkt des Erlasses der Verordnung (Stand 23.03.2020) nur eine Zuwiderhandlung gegen eine vollziehbare Anordnung, die vorliegend nicht festgestellt ist, gem. § 73 Abs. 1a Nr. 6 IfSG, nicht aber eine Zuwiderhandlung gegen ein Verbot der Verordnung gem. § 73 Abs. 1a Nr. 24 IfSG als Ordnungswidrigkeit geahndet werden. Dies war erst ab dem 28.03.2020 durch die Aufnahme von § 32 Satz 1 IfSG in § 73 Abs. 1a Nr. 24 IfSG möglich. Das Verhalten des Betroffenen war danach nicht bußgeldbewehrt, solange nur eine Zuwiderhandlung gegen ein unmittelbares Verbot der Verordnung und nicht gegen eine vollziehbare Anordnung gegeben war.
Mit Blick auf die Anforderungen einer Rückverweisung auf das IfSG wurde auch die 3. CoBeLVO (Stand 30.03.2020 und 01.04.2020) der Rechtslage entsprechend angepasst und wie konkretisiert:
„§12
Ordnungswidrig im Sinne des § 73 Abs. 1a Nr. 24 des Infektionsschutzgesetzes handelt, wer vorsätzlich oder fahrlässig den in den Bestimmungen der §§ 1 bis 10 dieser Verordnung enthaltenen Ge- und Verboten zuwiderhandelt. ...
Die Rückverweisung wurde anschließend (Stand 01.04.2020) noch weiter unter Benennung der einzelnen Ge- und Verbote der Rechtsverordnung ausdifferenziert.
Vor den dargelegten Änderungen des IfSG vom 27.03.2020 und den nachfolgenden Anpassungen der CeBeLVO war das Verhalten des Betroffenen am 26.03.2020 indes nach der zur Tatzeit geltenden Rechtslage nicht bußgeldbewehrt.
Da die Feststellungen des Amtsgerichts ausreichend sind, um das Verhalten des Betroffenen an der zur Tatzeit geltenden Rechtslage zu messen und weiterer Aufklärungsbedarf nicht besteht, entscheidet der Senat gemäß § 79 Abs. 6 OWiG in der Sache selbst.
Mangels ordnungswidrigen Verhaltens des Betroffenen war er mit der Kostenfolge des § 46 Abs. 1 OWiG iVm. § 467 Abs. 1 StPO freizusprechen.