Die Klägerin wehrt sich gegen mehrere polizeiliche Maßnahmen während einer unangemeldeten Versammlung am 22.12.2021. Der „Spaziergang“ war über Telegram organisiert worden. Etwa 100 Personen versammelten sich, ohne die damals geltenden Maßnahmen wie Abstandsregeln und Maskenpflicht einzuhalten. Die Polizei löste die Versammlung auf, nachdem kein Versammlungsleiter benannt wurde, verhängte Platzverweise und führte Identitätsfeststellungen durch, einschließlich der Aufnahme von Fotos der Teilnehmer.
Die Klägerin beantragt, festzustellen, dass die Polizei sich rechtswidrig verhalten habe.
Zunächst ist festzuhalten, dass das Gericht das Verhalten der Polizei durchaus als Eingriff in das Versammlungsrecht wertet. Dazu führt es aus:
„Danach kann sich die Klägerin hier auf einen tiefgreifenden Grundrechtseingriff berufen. Denn durch das Anhalten und Umstellen der Versammlung ist sie gewichtig in ihrem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit aus Art. 8 Abs. 1 des Grundgesetzes – GG – betroffen.“
Das Gericht stellt auch fest, dass ein Verstoß gegen die Anzeigepflicht einer Versammlung nicht deren Auflösung rechtfertigt:
„Grundsätzlich rechtfertigt allein ein Verstoß gegen die in § 14 Abs. 1 VersammlG statuierte Anzeigepflicht – entgegen dem Wortlaut des § 15 Abs. 3 VersammlG – zwar keine Auflösung der Versammlung oder andere Beschränkungen.“
Gleichwohl meint das Gericht, die Versammlung sei rechtswidrig gewesen, weil sie keinen Leiter gehabt habe und bewusst keine Anmeldung durchgeführt worden sei.
Die Entscheidung konzentriert sich also lediglich auf formale Fragen. Ob von der Versammlung tatsächlich eine Gefahr für die Gesundheit anderer Menschen ausging, behandelt die Entscheidung nicht. Zitat des Gerichts:
„Ob und in welchem Ausmaß von der Versammlung noch weitere Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung – insbesondere Gesundheitsgefahren angesichts der Corona-Pandemie – ausgingen, bedarf daher keiner Klärung.“
Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die aulierordentliche fristlose Kundigung vom 22.12.2021 aufgelöst worden ist. Im Ubrigen wird die Klage abgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger 51 % und die Beklagte 49 % zu tragen.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 11.049,57 € festgesetzt.
Die Klägerin wendet sich gegen mehrere polizeiliche Maßnahmen im Zusammenhang mit einer Versammlung.
Am Mittwoch, den 22.12.2021, nahm die Klägerin an einem sogenannten „Spaziergang“ in der T. ... Innenstadt teil, der zuvor nicht als Versammlung angemeldet worden war. Hierzu hatte ein dem Polizeipräsidium T. ... bekannter Kritiker der Corona-Maßnahmen am Vorabend über den Messenger-Dienst „Telegram“ aufgerufen. In seiner Nachricht, die er unter anderem auch an Personen aus der Großregion, dem Saarland und Luxemburg richtete, forderte er dazu auf, „T. ... mit Demonstranten zu fluten“. Ziel sei es „ein Zeichen“ zu setzen und aufzuzeigen, wie viele Menschen mit der aktuellen Situation unzufrieden seien. Er bat darum, den Aufruf lediglich über private Kontakte zu verbreiten und nicht in öffentlich einsehbare Gruppen zu stellen. Das „... Parkhaus T. ...“ benannte er als einen von zwei Treffpunkten.
Am Tag der Versammlung fand sich gegen 19.00 Uhr eine Gruppe von etwa 30 Personen beim „... Parkhaus T. ...“ ein, die sich von dort gegen 19.10 Uhr in Richtung des K. ...marktes bewegte. Gegen 19:21 Uhr begab sich die Gruppe vom K. ...markt zu einem zwischen der N. ... straße und dem K. ...markt gelegenen Parkplatz, wo sie sich mit einer weiteren Gruppe von ca. 40 Personen zusammenschloss. Die Gruppe zog sodann geschlossen in Richtung K. ...markt, wobei sie auf ca. 100 Personen anwuchs, und anschließend über die J. H. Straße in Richtung der Kreuzung B. ... straße beziehungsweise K. ... straße. Mehrere Personen führten Kerzen mit. In der J. H. Straße wurde die Personengruppe durch Einsatzkräfte der Polizei umschlossen und angehalten. Daraufhin bildeten die der Gruppe angehörenden Personen einen Kreis, fassten sich an den Händen und begannen Lieder zu singen. Gegen 19.37 Uhr wurden sie aufgefordert, einen Versammlungsleiter zu benennen. In den vorgelegten polizeilichen Vermerken heißt es, die Teilnehmer hätten die damals geltenden Abstandsregelungen missachtet, überwiegend keine Mund-Nasen-Bedeckung getragen und die Frage nach einem Versammlungsleiter durch die Antwort, sie seien alle Versammlungsleiter, konterkariert.
Nachdem sich bis 19.42 Uhr keine Person als verantwortlicher Leiter bekannt hatte, löste die Polizei die Versammlung auf, belegte die Ansammlung mit einer Auflösungsverfügung und eröffnete den Ver‐ sammlungsteilnehmern, dass gegen sie ein Bußgeldverfahren eingeleitet werde. Zudem erteilte sie gegenüber den Teilnehmern einen Platzverweis für den Bereich der Fußgängerzone zwischen ... und V. ... markt bis um 6.00 Uhr des Folgetages. Nachfolgend richtete die Polizei in Richtung K. ... straße eine Durchlassstelle ein und unterzog dort etwa 90 Personen, darunter auch die Klägerin, einer Identitätsfeststellung. Im Rahmen der Identitätsfeststellung wurden die Personalien der Betroffenen erfragt, die Aushändigung ihrer Personalausweise verlangt und Lichtbilder von den Betroffenen angefertigt, wobei sie ein DIN-A4-Blatt mit einer Nummer vor sich halten mussten. Die Dokumentation des Vorgangs im Einsatztagebuch enthält den Hinweis, Minderjährigen, kranken und hilfsbedürftigen Personen sei Gelegenheit gegeben worden, eine priorisierte Bearbeitung zu erfahren. Gegen 20.19 Uhr waren die Maßnahmen abgeschlossen.
Am 16.3.2022 hat die Klägerin die vorliegende Klage erhoben.
Zur Begründung trägt sie im Wesentlichen vor:
Die Polizei habe sie weder zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung noch zur Einhaltung eines Mindestabstands aufgefordert. Im Anschluss an die Identitätsfeststellung habe man ihr untersagt, den gewünschten Weg zu ihrem im „... Parkhaus T. ...“ abgestellten Kraftfahrzeug – von der J. H. Straße über den K. ...markt in die F. ... straße und von dort aus in die M. ... straße – zu nehmen. Auch der alternative Weg von der J. H. Straße in die B. ... straße über den H. ...markt sei ihr untersagt worden.
Sie habe ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit einzelner polizeilicher Maßnahmen, da man sie schwerwiegend in ihren Grundrechten – im Einzelnen: ihrem Grundrecht auf Freiheit, ihrer Versammlungs- und Fortbewegungsfreiheit, ihrem Persönlichkeitsrecht und ihrem Recht auf informationelle Selbstbestimmung sowie auf psychische Gesundheit – beeinträchtigt habe, sodass ein Rehabilitationsinteresse bestehe. Insbesondere wegen der Art und Weise, wie die Lichtbilder angefertigt worden seien, habe sie sich „wie eine Schwerverbrecherin“ behandelt gefühlt. Auch wolle sie einer Wiederholung vorbeugen. Da ihr Verhalten weder straf- noch bußgeldbewährt gewesen sei, sei die Polizei nicht befugt gewesen, die von ihr beanstandeten Maßnahmen zu ergreifen. Insbesondere liege kein Ver‐ stoß gegen § 4 Abs. 1 der Neunundzwanzigsten Corona-Bekämpfungsverordnung Rheinland-Pfalz vor, denn diese Vorschrift könne aus systematischen Gründen bei Versammlungen keine Anwendung finden. Zudem sei eine Ungleichbehandlung von immunisierten und nichtimmunisierten Personen nicht gerechtfertigt gewesen. Auch vor dem Hintergrund der Gefahrenabwehr erwiesen sich die Maßnahmen als rechtswidrig. Insbesondere sei zum damaligen Zeitpunkt nicht mit einer Überlastung des Gesundheitswesens zu rechnen gewesen, da im Freien keine Infektionsgefahr bestehe und die Omikron-Varia te des Coronavirus im Allgemeinen nur zu Erkrankungen mit milden Verläufen führe. Der Platzverweis sei ferner aufgrund seines örtlichen und zeitlichen Umfangs rechtswidrig. In der Personalabfrage liege zudem eine sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung von Versammlungsteilnehmern und Weihnachtsmarktbesuchern.
Die Klägerin beantragt,
hilfsweise festzustellen, dass diese Anordnung rechtswidrig war,
Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Zur Begründung macht er im Wesentlichen geltend:
Dass der Klägerin verboten worden sei, ihr Fahrzeug auf dem direkten Weg aufzusuchen, sei ihm weder bekannt noch dokumentiert.
Die polizeilichen Maßnahmen seien allesamt rechtmäßig und (insbesondere) verhältnismäßig gewesen. Wegen der zum damaligen Zeitpunkt dynamischen Infektionswelle habe der Gesundheitsschutz von unbeteiligten Personen, insbesondere Passanten, Vorrang vor den Interessen der Versammlungsteilnehmer gehabt. Aufgrund der Vorerfahrungen mit dem Verfasser des Aufrufs sei davon auszugehen gewesen, dass die Anmeldepflicht für die Versammlung absichtlich umgangen worden sei. Man habe den Platzverweis angeordnet, um zu verhindern, dass sich die Versammlung unmittelbar nach ihrer Auflösung erneut als „Spaziergang“ zusammenfinde. Die Ausdehnung in örtlicher und zeitlicher Hinsicht sei erforderlich gewesen. Die Identitätsfeststellung sei zur Durchsetzung der Neunundzwanzigsten Corona-Bekämpfungsverordnung Rheinland-Pfalz, konkret wegen des Verdachts des Verstoßes gegen Kontaktbeschränkungen, und des Platzverweises erfolgt. Nur durch Anfertigung der Lichtbilder sei eine korrekte Zuordnung der Personen gewährleistet gewesen. Hierdurch sei die Identitätsfeststellung erheblich beschleunigt worden. Die sonst übliche Aufnahme der Personalien wäre mit den zur Verfügung stehenden Einsatzkräften nicht oder nur mit erheblichem Zeitaufwand möglich gewesen. Die Umstellung sei erfolgt, um zu verhindern, dass die Teilnehmer vorzeitig den fraglichen Bereich verließen und sich der Identitätsfeststellung entzögen.
Das Gericht hat in der mündlichen Verhandlung Beweis erhoben durch Vernehmung des Herrn Polizeidirektors ... zu der Frage, ob seitens der Polizei gegenüber der Versammlung und insbesondere gegenüber der Klägerin keine Auflagen und auch keine Aufforderung erteilt wurden, Mindestabstände einzuhalten und Masken aufzusetzen. Wegen der Einzelheiten wird insoweit auf das Sitzungsprotokoll verwiesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten Akten sowie das Sitzungsprotokoll verwiesen.
A) Der Verwaltungsrechtsweg ist gemäß § 40 Abs. 1 S. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – eröffnet, denn es handelt sich um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art. Die vorliegende Streitigkeit ist auch nicht durch eine abdrängende Sonderzuweisung (vgl. § 40 Abs. 1 S. 2 VwGO), hier konkret §§ 62 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 iVm § 68 Abs. 1 S. 1 des Ordnungswidrigkeitengesetzes – OWiG -, den ordentlichen Gerichten zugewiesen, denn der Polizeieinsatz am 22. Dezember 2021, bei dem die Polizei Maßnahmen ergriff, die nach ihrer Zweckrichtung sowohl dem präventiven als auch dem repressiven Handeln zuzuordnen waren (sog. doppelfunktionale Maßnahmen), erfolgte nach den Feststellungen in der mündlichen Verhandlung überwiegend zum Zwecke der Gefahrenabwehr (vgl. BVerwG Urteil vom 3.12.1974 – I C 11.73 – BVerwGE 47, 255, juris Rn. 24). Insbesondere das „Umstellen“ der Versammlungsteilnehmer, welches den gesamten Einsatz über andauerte und damit den Charakter des polizeilichen Handelns maßgeblich prägte, erfolgte im Wesentlichen aus präventiven Gründen, nämlich mit dem Ziel, ein Fortsetzen des unangemeldeten Aufzugs zu unterbinden.
B) Die Klage hat nur in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang – d. h. hinsichtlich der Klageanträge zu 3) und zu 4) – Erfolg; im Übrigen ist sie abzuweisen.
I. Die Klage ist hinsichtlich des Klageantrags zu 6), mit dem die Klägerin die Feststellung begehrt, dass das Anhalten und Umstellen der Versammlung, an der sie teilnahm, rechtswidrig war, zwar zulässig (1), aber unbegründet (2).
1. Sie ist zunächst statthaft (a). Auch hat die Klägerin ein berechtigtes Interesse an der begehrten Feststellung (b).
a) Die Klage ist als allgemeine Feststellungsklage gemäß § 43 Abs. 1 Alt. 1 VwGO statthaft, denn die Klägerin begehrt die Feststellung des Bestehens beziehungsweise Nichtbestehens eines vergangenen Rechtsverhältnisses – das Anhalten und Umstellen der Versammlung stellte mangels Regelungswirkung keinen Verwaltungsakt, sondern einen Realakt dar (vgl. zur Abgrenzung Knauff, in: Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, 2. EL April 2022, § 35 Rn. 187 ff.) – sowie der sich daraus ergebenden Rechte und Pflichten (zur Zulässigkeit von Feststellungsklagen bei vergangenen Rechtsverhältnissen: BVerwG Urteil vom 25.10.2017 – 6 C 46.16 – BVerwGE 160, 169-193, juris, Rn. 12 mwN).
b) Auch verfügt die Klägerin über das erforderliche Interesse an der begehrten Feststellung. Bei Feststellungsklagen, die – wie hier – auf ein vergangenes Rechtsverhältnis bezogen sind, besteht ein schützenswertes Interesse an der gerichtlichen Feststellung – in Anlehnung an die Voraussetzungen bei der Fortsetzungsfeststellungsklage (s. dazu unter: II. 2.) – nur dann, wenn eine Wiederholungsgefahr anzunehmen ist, ein hinreichendes Rehabilitierungsinteresse zu erkennen ist, ein tiefgreifender Grundrechtseingriff vorliegt oder die Präjudizwirkung für einen angestrebten Staatshaftungsprozess zu bejahen ist (vgl. BayVGH Beschluss vom 16.9.2019 – 8 ZB 18.672 – juris, Rn. 16 mwN).
Danach kann sich die Klägerin hier auf einen tiefgreifenden Grundrechtseingriff berufen. Denn durch das Anhalten und Umstellen der Versammlung ist sie gewichtig in ihrem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit aus Art. 8 Abs. 1 des Grundgesetzes – GG – betroffen. Die Versammlungsfreiheit schützt nämlich auch das Recht des Veranstalters und der Teilnehmer über die Art und Weise der Durchführung der Versammlung – hier waren konkret die Wahl des Ortes und die Entscheidung über die Durchführung der Versammlung als Aufzug betroffen – selbst zu bestimmen (vgl. Depenheuer, in: Dürig/Herzog/Scholz, Grundgesetz-Kommentar, 97. EL Januar 2022, GG Art. 8 Rn. 75 f.).
2. Die Klage ist jedoch unbegründet, denn die Polizei war zum Anhalten des Aufzugs und der nachfolgenden Umstellung der Versammlungsteilnehmer befugt. Die Maßnahme war sowohl während der laufenden Versammlung (a) als auch nach ihrer Auflösung rechtmäßig (b) und verletzte die Klägerin nicht in ihren Rechten.
a) Rechtsgrundlage für die polizeiliche Maßnahme war hier § 15 Abs. 3 des Gesetzes über Versammlun‐ gen und Aufzüge des Bundes (Versammlungsgesetz) – VersammlG -. Nach dieser Vorschrift kann die zuständige Behörde eine Versammlung oder einen Aufzug auflösen, wenn sie nicht angemeldet sind oder wenn von den Angaben der Anmeldung abgewichen oder den Auflagen zuwidergehandelt wird oder wenn die Voraussetzungen zu einem Verbot nach § 15 Abs. 1 oder 2 VersammlG gegeben sind. Neben der Auflö‐ sung kann die zuständige Behörde bei durch eine Versammlung oder einen Aufzug verursachten Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung aber auch eine sog. Minusmaßnahme als milderes Mittel anordnen (dazu ausführlich in einem ähnlich gelagerten Fall: SächsOVG Urteil vom 17.8.2016 – 3 A 64/14 – juris, Rn. 46 ff. mwN).
Danach begegnet die streitgegenständliche Maßnahme als gegenüber der Auflösung milderes Mittel – die Auflösung selbst wird mit der vorliegenden Klage nicht angegriffen – keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
aa) Zunächst war das Polizeipräsidium T. ... zuständig. Zwar sieht § 2 Nr. 9 der Landesverordnung über Zuständigkeiten der allgemeinen Ordnungsbehörden vor, dass grundsätzlich die Kreisordnungsbehörde die für die Durchführung der Aufgaben nach dem Versammlungsgesetz zuständige Behörde ist. Im vorliegenden Fall konnte die Polizei jedoch im Wege ihrer Eilzuständigkeit aus § 1 Abs. 8 des Polizei- und Ordnungsbehördengesetzes Rheinland-Pfalz – POG – tätig werden, denn die Abwehr der Gefahr durch eine andere Behörde erschien hier – es handelte sich um eine unangemeldete Versammlung mit etwa 100 Personen in den Abendstunden – nicht beziehungsweise nicht rechtzeitig möglich.
bb) Das Anhalten der Versammlung durch eine Polizeikette mit der nachfolgenden Umstellung im Be‐ reich der J. H. Straße zwischen K. ...markt und B. ... straße beziehungsweise K. ... straße war auch materiell rechtmäßig.
(1) Bei der als „Spaziergang“ betitelten Ansammlung von Personen handelte es sich erkennbar um eine Versammlung im Sinne von Art. 8 Abs. 1 GG (so auch zu sog. „Montagsspaziergängen“: BVerfG Be‐ schluss vom 31.1.2022 – 1 BvR 208/22 -, juris; VGH BW Beschluss vom 4.2.2022 – 10 S 236/22 -, juris; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 10.2.2022 – OVG 1 S 16/22 – juris), denn die teilnehmenden Personen, die aufgrund ihres geschlossenen Auftretens und des kollusiven Verhaltens gegenüber der Polizei eine innere Verbundenheit erkennen ließen, hatten sich – entsprechend dem Aufruf über den Messenger-Dienst „Telegram“ – zum Zwecke der gemeinsamen Meinungsäußerung am Abend des 22.12.2021 in der T. ... Innenstadt eingefunden (vgl. zum Versammlungsbegriff Depenheuer in: Dü‐ rig/Herzog/Scholz, aaO, Art. 8 Rn. 45 f.).
(2) Es bestand auch eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit – insbesondere im Hinblick auf einen Verstoß gegen die objektive Rechtsordnung -, denn die gemäß § 14 Abs. 1 VersammlG erforderliche Anmeldung war hier bewusst unterblieben und die Versammlung verfügte auch nicht über einen Versammlungsleiter.
(a) Grundsätzlich rechtfertigt allein ein Verstoß gegen die in § 14 Abs. 1 VersammlG statuierte Anzeigepflicht – entgegen dem Wortlaut des § 15 Abs. 3 VersammlG – zwar keine Auflösung der Versammlung oder andere Beschränkungen (vgl. Dürig-Friedl, in: Dürig-Friedl/Enders, Versammlungsrecht, 1. Aufl. 2016, § 15 Rn. 162). Etwas anderes gilt allerdings dann, wenn durch eine fehlende Anmeldung bewusst verhindert werden soll, dass die Behörden die notwendigen organisatorischen Maßnahmen treffen und personelle Kräfte zur Wahrung der öffentlichen Sicherheit bereitstellen können (vgl. BVerfG, Ablehnung einstweilige Anordnung vom 27.1.2012 – 1 BvQ 4/12 -, juris, Rn. 9). Dies trifft auch auf sog. „Spaziergänge“ zu, bei denen gefahrenabwehrrechtliche Sicherheitsmaßnahmen, wie etwa die Erteilung ver‐ sammlungsspezifischer oder infektionsschutzrechtlicher Auflagen, durch die planmäßige Nichtanmeldung gezielt vereitelt werden sollen (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 10.2.2022, aaO, Rn. 9; VGH BW, Beschluss vom 4.2.2022, aaO, Rn. 11; so in der Tendenz auch: BVerfG, Beschluss vom 31.1.2022 – 1 BvR 208/22 – juris, Rn. 9). Dies war auch hier der Fall. Insbesondere der Aufruf am 21.12.2021, aber auch die unbestritten gebliebenen Ausführungen des Beklagten zu den polizeilichen Vorerfahrungen mit dem Verfasser des Aufrufs zeigen, dass ein behördliches Einschreiten im Vorfeld, insbesondere das Erteilen von Auflagen, gezielt unterbunden werden sollte.
(b) Darüber hinaus hatte die Versammlung bis zuletzt keinen Versammlungsleiter. Nach § 7 Abs. 1 VersammlG, der gemäß § 18 Abs. 1 VersammlG bei öffentlichen Versammlungen unter freiem Himmel entsprechend anzuwenden ist, muss jede Versammlung einen Leiter haben. Zwar wird die in dieser Vorschrift verankerte Pflicht bei Versammlungen in geschlossenen Räumen als „bloße Ordnungspflicht“ angesehen (vgl. etwa Dürig-Friedl, in: Dürig-Friedl/Enders, aaO, § 7 Rn. 6; Dietel/Gintzel/Kniesel, Versammlungsgesetze, 18. Auflage 2019, § 7 Rn. 3 f.). Dies lässt sich wegen des isolierten Verweises in § 18 Abs. 1 VersammlG auf den Absatz 1 des § 7 VersammlG allerdings nicht auf Versammlungen unter freiem Himmel übertragen. Denn anders als bei Versammlungen in geschlossenen Räumen gibt es keinen Versammlungsleiter „kraft Gesetzes“ (vgl. § 7 Abs. 2 VersammlG). Sofern sich bei diesen Versamm‐ lungen keine Person als Leiter benennt, ist demnach niemand verpflichtet, die Leitungsfunktion mit den damit verbundenen Aufgaben (vgl. § 8 VersammlG) zu übernehmen. Dass eine Versammlung unter freiem Himmel zwingend einen Leiter haben muss, zeigt sich auch in § 26 Abs. 2 Nr. 2 VersammlG, wonach sich ein Veranstalter oder Leiter strafbar macht, wenn er eine öffentliche Versammlung unter freiem Himmel ohne Anmeldung durchführt.
Ob und in welchem Ausmaß von der Versammlung noch weitere Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung – insbesondere Gesundheitsgefahren angesichts der Corona-Pandemie – ausgingen, bedarf daher keiner Klärung.
cc) Die Maßnahme war auch nicht ermessensfehlerhaft; insbesondere war sie nicht unverhältnismäßig. Ein milderes, gleich geeignetes Mittel zur Verhinderung des Fortsetzens des unangemeldeten Aufzugs ohne Versammlungsleiter war nicht ersichtlich.
b) Die polizeiliche Umstellung war auch nach der Auflösung der Versammlung noch rechtmäßig, denn diese diente der Durchsetzung der Identitätsfeststellung.
aa) Es kann dahingestellt bleiben, ob die Maßnahme auf § 10 Abs. 2 S. 3 POG oder auf § 46 Abs. 1 OWiG iVm § 163 b Abs. 1 S. 2 der Strafprozessordnung – StPO – zu stützen war, denn die Tatbestands‐ voraussetzungen der beiden Vorschriften sind jeweils identisch. Danach kann der Betroffene bezie‐ hungsweise der Verdächtigte festgehalten werden, wenn die Identität auf andere Art und Weise nicht oder nur unter erheblichen Schwierigkeiten festgestellt werden kann. Diese Voraussetzungen lagen hier vor (s. zur Zulässigkeit der Identitätsfeststellung unter: IV. 2. a)). Nach den Dokumentationen in der Verwaltungsakte, wie auch den Darstellungen des Herrn Polizeidirektor ... in der mündlichen Verhandlung bestand die Gefahr, dass die Versammlungsteilnehmer, die bis zuletzt ihre Teilnahme an einer Versammlung leugneten und wahrheitswidrig angaben, nur zufällig vor Ort gewesen zu sein, sich ohne entsprechende Sicherungsmaßnahmen der geplanten Identitätsfeststellung entziehen würden; insbesondere nachdem ihnen die Einleitung von Bußgeldverfahren eröffnet worden war.
bb) Die Maßnahme war auch nicht ermessensfehlerhaft und nicht unverhältnismäßig. Insbesondere wurde die Klägerin durch die freiheitsbeschränkende Maßnahme nicht unangemessen belastet. Denn sie dauerte weniger als eine Stunde an und Menschen mit besonderer Hilfsbedürftigkeit wurde Gelegenheit gegeben, bei der Identitätsfeststellung vorgezogen zu werden.
II. Hinsichtlich der Klageanträge zu 1) und zu 2), mit denen die Klägerin die Feststellung begehrt, dass die im Rahmen der Identitätsfeststellung vorgenommene Abfrage der Personalien und die Aufforderung
den Personalausweis auszuhändigen rechtswidrig waren, ist die Klage bereits unzulässig. Zwar ist sie statthaft (1), allerdings fehlt es der Klägerin an dem insoweit erforderlichen Feststellungsinteresse (2).
1. Hinsichtlich dieses Feststellungsbegehrens ist die Klage in entsprechender Anwendung des § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO als Fortsetzungsfeststellungsklage statthaft, da sich die betreffenden Maßnahmen bereits vor Klageerhebung erledigt haben (vgl. OVG RP Urteil vom 27.3.2014 – 7 A 11202/13.OVG – ju‐ ris, Rn. 14 mwN).
2. Die Klägerin verfügt jedoch nicht über ein berechtigtes Interesse an der begehrten Feststellung. Dieses nach § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO erforderliche Fortsetzungsfeststellungsinteresse kann rechtlicher, wirtschaftlicher oder ideeller Natur sein und sich insbesondere aus den Gesichtspunkten einer konkreten Wiederholungsgefahr, der Rehabilitierung, der schwerwiegenden Grundrechtsverletzung sowie der Präjudizwirkung für einen beabsichtigten Schadensersatzanspruch ergeben. Die gerichtliche Feststellung muss jedoch geeignet sein, die betroffene Position eines Klägers zu verbessern (vgl. BVerwG Urteil vom 12.11.2020 – 2 C 5.19 – juris, Rn. 13).
Ein berechtigtes Interesse hat die Klägerin jedoch weder unter dem Gesichtspunkt der schwerwiegenden Grundrechtsverletzung (a) noch unter dem der konkreten Wiederholungsgefahr (b). Auch kann sie sich nicht auf ein schützenswertes Rehabilitationsinteresse berufen (c).
a) Bei schwerwiegenden Grundrechtseingriffen ist im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG ein Fortset‐ zungsfeststellungsinteresse zu bejahen, wenn es um Maßnahmen geht, die sich typischerweise so kurzfristig erledigen, dass sie ohne die Annahme eines Fortsetzungsfeststellungsinteresses regelmäßig keiner Überprüfung im gerichtlichen Hauptsacheverfahren zugeführt werden könnten (BVerwG Urteil vom 12.11.2020 aaO, Rn. 15 mwN; vgl. BVerfG Beschluss vom 6.7.2017 – 1 BvR 1705/15 – juris, Rn. 11).
Danach scheidet ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse hier schon deshalb aus, weil die Klägerin durch die Abfrage ihrer Personalien und die Aufforderung, ihren Personalausweis auszuhändigen nicht schwerwiegend in ihren Grundrechten beeinträchtigt wurde. Vielmehr liegt hierin nur ein geringfügiger Eingriff in ihr Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 iVm Art. 1 Abs. 1 GG (vgl. OVG RP Urteil vom 27.3.2014, – 7 A 11202/13.OVG– juris, Rn. 29). Entsprechendes gilt auch für einen etwaigen Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) im Hinblick auf einen Vergleich mit den Besuchern des Weihnachtsmarkts.
b) Ein Feststellungsinteresse ergibt sich auch nicht aus einer konkreten Wiederholungsgefahr.
Die Annahme einer Wiederholungsgefahr erfordert das Bestehen der hinreichend bestimmten Gefahr, dass unter im Wesentlichen unveränderten tatsächlichen oder rechtlichen Umständen erneut ein gleichartiger Verwaltungsakt ergehen wird (vgl. BVerwG Beschluss vom 10.2.2016 – 10 B 11.15 -, juris, Rn. 6 mwN).
Es ist jedoch nicht hinreichend wahrscheinlich, dass die Klägerin künftig in eine Lage geraten wird, die hinsichtlich der rechtlichen und tatsächlichen Umstände denen entspricht, die für die erfolgte Abfrage der Personalien und die Aufforderung, den Personalausweis auszuhändigen, maßgeblich waren. Diese Maßnahmen beruhten im Wesentlichen darauf, dass die Polizei in Übereinstimmung mit der unteren Versammlungsbehörde der Auffassung war, angesichts des damaligen Infektionsgeschehens sowie der Regelungen der Neunundzwanzigsten Corona-Bekämpfungsverordnung Rheinland-Pfalz vom 3.12.2021 – 29.CoBeLVO – könne ein Aufzug im Bereich der Fußgängerzone nicht zugelassen werden. Zudem sei die Versammlung gerade deshalb nicht angemeldet worden, um behördliche Maßnahmen zu unterlaufen. Es habe auch keine Bereitschaft zur Kooperation hinsichtlich der Auflagen zur Gewährleistung des Gesundheitsschutzes (keine Versammlung in Form eines Aufzugs, Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes sowie Einhaltung des Abstandsgebotes) bestanden.
Aufgrund der geänderten Bewertung der Gefährdungslage gelten insbesondere die in § 4 der 29. CoBeL‐ VO geregelten Beschränkungen für Zusammenkünfte und Versammlungen von Personen zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung nicht mehr (vgl. Begründung zur Dreiunddreißigsten Corona-Bekämp‐ fungsverordnung Rheinland-Pfalz vom 1.4.2022, Stand: 21.7.2022, https://corona.rlp.de/fileadmin/coro‐ na/Verordnungen/33._CoBeLVO/220718_Begruendung _ 33.CoBeLVO.pdf) und es ist nicht absehbar, ob es zukünftig erneut entsprechende Beschränkungen geben wird. Daher besteht auch nicht die hinrei‐ chende Gefahr, dass sich der Konflikt, zu dem es am 22.12.2021 zwischen der Klägerin als Teilnehmerin eines „Spaziergangs“ und der Polizei gekommen ist, unter im Wesentlichen gleichen rechtlichen und tat‐ sächlichen Umständen wiederholen wird.
c) Ebenso wenig kann sich die Klägerin auf ein Rehabilitationsinteresse berufen.
Ein Rehabilitationsinteresse begründet ein berechtigtes Feststellungsinteresse, wenn sich aus der angegriffenen Maßnahme eine Stigmatisierung des Betroffenen ergibt, die geeignet ist, sein Ansehen in der Öffentlichkeit oder im sozialen Umfeld herabzusetzen. Diese Stigmatisierung muss Außenwirkung ha‐ ben und noch in der Gegenwart andauern (vgl. BVerwG Urteil vom 16.5.2013 – 8 C 14.12 -, juris, Rn. 25 mwN).
Die Klägerin hat jedoch durch das Erfragen ihrer Personalien und die Aufforderung, ihren Personalaus‐ weisweis auszuhändigen, keinen nachhaltigen Ansehensverlust in der Öffentlichkeit erlitten. Derartige Anhaltspunkte ergeben sich insbesondere auch nicht aus den Begleitumständen der polizeilichen Maßnahme und dem Vorbringen der Klägerin.
III. Der Klageantrag zu 4), mit dem die Klägerin begehrt, festzustellen, dass der ihr nach Auflösung der Versammlung erteilte Platzverweis rechtswidrig war, ist zulässig (1) und auch begründet (2).
1. Die insoweit als Fortsetzungsfeststellungsklage gemäß § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO analog statthafte Klage ist zulässig. Insbesondere hat die Klägerin aufgrund des Gewichts des Grundrechtseingriffs ein berechtigtes Interesse an der Feststellung (vgl. dazu: I.1.a)). Zwar stellt ein Platzverweis, sofern er nur geringfügig in die körperliche Bewegungsfreiheit (Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG) beziehungsweise die allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) eingreift, regelmäßig keinen gewichtigen Grundrechtseingriff dar (vgl. dazu: OVG RP Urteil vom 27.3.2014, aaO, Rn. 27 f.). Im hier vorliegenden Fall handelte es sich hingegen aufgrund der räumlichen und zeitlichen Ausdehnung um eine gewichtige Beeinträchtigung. Denn es war der Klägerin untersagt, sich über einen Zeitraum von etwa 10 Stunden in der mehrere Straßenzüge und Plätze umfassenden Fußgängerzone von T. ... aufzuhalten.
2. Die Klage ist auch begründet, da der Platzverweis rechtswidrig war und die Klägerin in ihren Rechten verletzte (§ 113 Abs. 1 S. 4 VwGO analog).
Nach § 13 Abs. 1 S. 1 POG können die allgemeinen Ordnungsbehörden und die Polizei zur Abwehr einer Gefahr eine Person zeitlich befristet von einem Ort verweisen oder ihr zeitlich befristet das Betreten eines Ortes verbieten (Platzverweisung). Danach war der hier angeordnete Platzverweis rechtswidrig. Denn § 13 Abs. 1 S. 1 POG stellt keine hinreichende Ermächtigungsgrundlage für den Verweis der Klä‐ gerin aus dem Bereich der Fußgängerzone der Stadt T. ... zwischen ... und V. ...markt dar (a). Dessen un‐ geachtet war der Platzverweis auch in zeitlicher Hinsicht unverhältnismäßig (b).
a) § 13 Abs. 1 S. 1 POG ermöglicht den allgemeinen Ordnungsbehörden und der Polizei, zum Zwecke der Gefahrenabwehr eine Person eines Ortes zu verweisen oder ihr das Betreten eines Ortes zu verbie‐ ten. Der Begriff „Ort“ wird in der Rechtsprechung unterschiedlich verstanden. So wird – auf der Grundlage z. T. unterschiedlicher gesetzlicher Regelungen – einerseits angenommen, ein Ort sei ein räumlich eng begrenzter Bereich, wie etwa ein Platz, ein Straßenzug oder ein Gebäude. Andererseits wird vertreten, dass sich ein Platzverweis je nach Gefahrenlage auch auf einen deutlich darüberhinausgehenden Bereich erstrecken kann (ausführlich zu diesem Streit: OVG NRW Urteil vom 27.9.2021 – 5 A 2807/19 -, juris, Rn. 69 ff. mwN).
Gegen ein weites Verständnis des Ortsbegriffs in § 13 Abs. 1 S. 1 POG spricht jedoch der systemati‐ sche Vergleich mit dem in dessen Absatz 3 geregelten Aufenthaltsverbot. Danach kann die Polizei einer Person verbieten, einen bestimmten Ort, ein bestimmtes Gebiet innerhalb einer Gemeinde oder ein Gemeindegebiet zu betreten oder sich dort aufzuhalten, soweit Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass diese Person dort eine Straftat begehen wird. Mit der Einführung dieser Vorschrift im Jahr 2004 – bis dahin war nur die Platzverweisung in § 13 POG geregelt – hat der Gesetzgeber der Polizei zusätzlich die Möglichkeit eingeräumt, bei Vorliegen strengerer Tatbestandsvoraussetzungen einen in örtlichem und zeitlichem Umfang „erweiterten Platzverweis“ – das Aufenthaltsverbot – auszusprechen. Dass diese Unterscheidung zwischen dem örtlich eng begrenzten Platzverweis und dem für einen weiteren Bereich ausdehnbaren Aufenthaltsverbot gewollt war, zeigen die einschlägigen Gesetzesmaterialen. Darin heißt es, dass sich das Aufenthaltsverbot hinsichtlich der Rechtsfolgen gegenüber der bisherigen Regelung der Platzverweisung in räumlicher und zeitlicher Hinsicht unterscheide; in räumlicher Hinsicht kön‐ ne ein Aufenthaltsverbot nicht nur für eine begrenzte Örtlichkeit ausgesprochen werden, sondern das Gebiet einer gesamten Gemeinde umfassen (vgl. LT Drs. 14/2287, 37).
Daraus folgt, dass der Ortsbegriff in Absatz 1 deutlich enger zu verstehen ist als der in Absatz 3 und der Platzverweis demzufolge nur eine Örtlichkeit geringeren Umfangs umfassen kann, also auch nicht ein bestimmtes Gebiet innerhalb einer Gemeinde (so auch: OVG Sachsen-Anhalt Beschluss vom 23.4.2019 – 3 L B 85/16 – juris, Rn. 53 ff., 58; OVG NRW Urteil vom 27.9.2021, aaO, juris, Rn. 75 ff. mwN; vgl. zu § 38 des Bundespolizeigesetzes – BPolG -: Schenke in: Schenke/Graulich/Ruthig, Sicherheitsrecht des Bundes, 2. Aufl. 2019, BPolG § 38, Rn. 10).
Danach durfte die Klägerin nicht nach § 13 Abs. 1 S. 1 POG – Absatz 3 ist ersichtlich nicht einschlägig – aus dem Bereich der Fußgängerzone der Stadt T. ... zwischen ... und V. ...markt verwiesen werden. Der so umschriebene Bereich umfasst die gesamte Fußgängerzone (vgl. § 7 Abs. 1 der Satzung über die Erteilung von Erlaubnissen für Sondernutzungen an öffentlichen Straßen in der Stadt T. ... und die Erhebung von Sondernutzungsgebühren; Stadtplan der Stadt T. ..., abrufbar unter: https. ..., zuletzt abgerufen am 26.8.2022) und damit jedenfalls keinen Ort im Sinne von § 13 Abs. 1 POG, sondern ein Gebiet innerhalb der Stadt T. ...
b) Zudem war die Maßnahme auch in zeitlicher Hinsicht unverhältnismäßig, da eine Befristung auf 6.00 Uhr des Folgetages nicht erforderlich war. Nach den Darstellungen des Beklagten diente der Platzverweis dazu, ein Fortsetzen des „Spaziergangs“ zum Zwecke des Gesundheitsschutzes, insbesondere unbeteiligter Personen, zu verhindern. Ausgehend von dieser Zweckbestimmung war ein Platzverweis jedoch allenfalls bis zum 22.12.2021 um 24.00 Uhr gerechtfertigt. Denn selbst wenn man unterstellt, dass bei Erlass der Maßnahme die Personenzahl und -dichte in der Fußgängerzone aufgrund des Weih‐ nachtsmarkts und der noch geöffneten Geschäfte erhöht waren, konnte an einem normalen Wochentag nach Geschäftsschluss und Beendigung des Weihnachtsmarkts – jedenfalls aber ab 24.00 Uhr – nicht mehr mit einem erhöhten Personenaufkommen in der Innenstadt gerechnet werden.
IV. Der Klageantrag zu 3), mit dem die Klägerin die Aufhebung der polizeilichen Anordnung, das Anfertigen von Lichtbildern zu erdulden, begehrt, ist zulässig (1) und begründet (2).
1. Die Klage ist statthaft (a) und auch im Übrigen zulässig. Insbesondere steht der Zulässigkeit nicht entgegen, dass ein Widerspruchsverfahren nicht durchgeführt worden ist (b).
a) Die Klage ist als Anfechtungsklage gem. § 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO statthaft. Die Anordnung, wonach die Klägerin zu dulden hatte, dass sie mit einer vor ihrem Körper gehaltenen Nummer abgelichtet wurde, hat sich nicht mit Vollzug der Maßnahme erledigt (vgl. § 1 Abs. 1 des Landesverwaltungsverfahrensge‐ setzes – LVwVfG – iVm § 43 Abs. 2 des Verwaltungsverfahrensgesetzes des Bundes – VwVfG -). Die Klägerin ist nämlich weiterhin durch die Maßnahme beschwert, da die dabei gewonnenen Lichtbilder immer noch bei dem Beklagten vorhanden sind und die Klägerin dies aufgrund der Anordnung weiterhin zu dulden hat (vgl. – zu erkennungsdienstlichen Maßnahmen -: BayVGH Urteil vom 12.11.2013 – 10 B 12.2078 -, juris, Rn. 17).
b) Der Zulässigkeit der Klage steht nicht entgegen, dass vor Erhebung der Klage kein Vorverfahren (vgl. § 68 Abs. 1 S. 1 VwGO) durchgeführt worden ist. Dieses ist nämlich ausnahmsweise entbehrlich, wenn sich der Beklagte im Klageverfahren rügelos zur Sache eingelassen hat (vgl. BVerwG Beschluss vom 26.9.1989 – 8 B 39.89 – juris, Rn. 4; Urteil vom 30.10.2013 – 2 C 23.12 -, juris, Rn. 34 ff.). Das ist hier der Fall. Der Beklagte hat sich auch nach dem gerichtlichen Hinweis, dass mangels Erledigung möglicher‐ weise die Anfechtungsklage statthaft sei, weder schriftsätzlich noch in der mündlichen Verhandlung auf die Unzulässigkeit der Klage beziehungsweise konkret auf das Fehlen des Vorverfahrens berufen. Da zudem keiner der Beteiligten auf die Durchführung eines Vorverfahrens bestanden hat, ist nicht ersichtlich, welchen Nutzen eine verwaltungsinterne Selbstkontrolle nach dieser langen Zeit noch hätte; zumal der Beklagte nicht hat erkennen lassen, dass er bereit sein könnte, von der Anordnung Abstand zu nehmen. Im hier vorliegenden Fall wäre es daher reiner Formalismus, die Sachentscheidung von der ordnungsgemäßen Durchführung eines Vorverfahrens abhängig zu machen.
2. Die Klage ist auch begründet, denn die polizeiliche Anordnung, das Anfertigen von Lichtbildern zu erdulden, ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO).
a) Die Anordnung kann im Ergebnis nicht auf § 11 Abs. 1 Nr. 1 POG gestützt werden.
Danach kann die Polizei erkennungsdienstliche Maßnahmen – dazu gehört nach § 11 Abs. 3 Nr. 2 POG insbesondere die Aufnahme von Lichtbildern – vornehmen, wenn eine nach § 10 POG zulässige Identi‐ tätsfeststellung nicht oder nur unter erheblichen Schwierigkeiten möglich ist. Nach § 10 Abs. 1 S. 1 POG – Satz 2 ist ersichtlich nicht einschlägig – können die allgemeinen Ordnungsbehörden und die Po‐ lizei die Identität einer Person feststellen, wenn dies zur Abwehr einer Gefahr oder zum Schutz privater Rechte erforderlich ist. Zwar sollten die Lichtbilder hier zumindest auch aus Gründen der Gefahrenab‐ wehr aufgenommen werden. Denn nach dem Vorbringen des Beklagten dienten diese – insbesondere – dazu, die Einhaltung der ausgesprochenen Platzverweise zu überwachen und die erneute Bildung einer rechtswidrigen Ansammlung durch die betreffenden Personen innerhalb der Fußgängerzone zu verhindern.
Da jedoch nach § 11 Abs. 1 Nr. 1 POG erkennungsdienstliche Maßnahmen im Sinne dieser Vorschrift nur zulässig sind, wenn die Identitätsfeststellung nicht oder nur unter erheblichen Schwierigkeiten möglich ist, muss die Polizei grundsätzlich – von extremen Ausnahmefällen abgesehen – zunächst alle sonstigen Möglichkeiten der Identitätsfeststellung ausschöpfen, sofern diese nur einigermaßen erfolgversprechend sind (vgl. Kuhn in: PdK RhPf K-30, § 11 POG, Ziff. 4.1).
Im hier vorliegenden Fall war die Feststellung der Identität der Klägerin aber ohne erhebliche Schwierig‐ keiten auch auf andere Weise als durch die Anfertigung von Lichtbildern möglich. Nach dem unbestrittenen Vorbringen der Klägerin hatte diese nämlich ihre Personalien angegeben und ihren Personalaus‐ weis vorgelegt. Demnach waren ihre Personalien und damit auch ihre Identität bereits festgestellt, sodass kein hinreichend gewichtiger Grund bestand, sie zusätzlich abzulichten.
Der Einwand des Beklagten, eine konventionelle Aufnahme der Personalien sei bei etwa 90 Personen nicht oder nur mit erheblichem Zeitaufwand möglich gewesen, greift nicht durch. Denn nach den Dokumentationen im Einsatztagebuch der Polizei waren insgesamt 115 Einsatzkräfte vor Ort (vgl. Rs. v. Bl. 62 d. GA), sodass die Aufnahme der erforderlichen persönlichen Daten anhand vorgelegter Personal‐ ausweise nicht aufgrund Personalmangels zu erheblichen Verzögerungen geführt hätte. Der Beklagte hat auch nicht dargelegt, dass und auf welche Weise das als Ausdruck vorgelegte Lichtbild (Bl. 16 der Verwaltungsakte) zur Feststellung der Identität der Klägerin verwendet wurde und ihre unterhalb des ausgedruckten Lichtbilds vermerkten Namen sowie Geburtsdatum nicht aufgrund ihrer Angaben am Abend des 22.12.2021 und anhand ihres vorgelegten Personalausweises schriftlich festgehalten worden waren.
b) Die Anordnung der Ablichtung der Klägerin kann auch nicht auf § 81 b beziehungsweise § 163 b Abs. 1 StPO gestützt werden. Beide Vorschriften gelten nach § 46 Abs. 1 OWiG entsprechend auch für das Bußgeldverfahren, da das Ordnungswidrigkeitengesetz keine abweichenden Bestimmungen enthält. Nach § 81 b StPO dürfen (u. a.) Lichtbilder des Betroffenen auch gegen seinen Willen aufgenommen werden, soweit es für die Zwecke der Durchführung des Strafverfahrens – hier: des Bußgeldverfahrens – oder für die Zwecke des Erkennungsdienstes notwendig ist (zur Zuordnung der Norm sowohl zum Strafprozessrecht als auch zum Polizeirecht, s. z. B. Krause, in: Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Aufl. 2017, § 81 b Rn. 1 ff. mwN). Nach § 163 b Abs. 1 S. 2 und 3 StPO ist die Durchführung erkennungsdienstlicher Maßnahmen bei einem Verdächtigen zulässig, wenn seine Identität sonst nicht oder nur unter erheblichen Schwierigkeiten festgestellt werden kann. Auf den Inhalt dieser strafprozessualen Vorschriften braucht hier nicht näher eigegangen zu werden. Denn aus den zuvor dargelegten Gründen (vgl. unter: a)) war die Ablichtung der Klägerin jedenfalls nicht notwendig und damit auch nicht verhältnismäßig (vgl. Krause, aaO, § 81 b Rn. 11, § 163 b Rn. 48).
c) Es kann dahingestellt bleiben, inwieweit die Generalklausel des § 9 Abs. 1 S. 1 POG neben den zuvor geprüften Regelungen Anwendung finden kann. Nach dieser Vorschrift können die allgemeinen Ordnungsbehörden und die Polizei die notwendigen Maßnahmen treffen, um eine im einzelnen Fall beste‐ hende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung abzuwehren, soweit nicht die §§ 9 a bis 68 ihre Befugnisse besonders regeln. Danach wäre es denkbar, dass die Lichtbilder der Klägerin und der übri‐ gen Versammlungsteilnehmer auch dazu hätten dienen können, diese wiederzuerkennen, falls sie sich entgegen dem Platzverweis abermals in die Fußgängerzone begeben hätten, um sich dort erneut zu einem unzulässigen Aufzug zusammenzufinden. Insoweit ginge es wohl nicht um eine Identitätsfeststellung im Sinne des § 11 Abs. 1 Nr. 1 POG.
Auch insoweit wäre die Ablichtung der Klägerin jedoch zumindest unverhältnismäßig gewesen. Soweit es darum gegangen sein sollte, einem Verstoß gegen den Platzverweis entgegenzuwirken, würde wegen dessen Rechtswidrigkeit (vgl. oben unter III.) bereits kein legitimer Zweck verfolgt. Sofern es zur erneuten Bildung eines unzulässigen Aufzugs gekommen wäre, hätte es jedenfalls im Hinblick auf die Kläge‐ rin ausgereicht, dann erneut die Personalien der Teilnehmer zu überprüfen. Dafür, dass die Klägerin in diesem Fall Angaben verweigert oder ihren Personalausweis nicht vorgelegt hätte, sind keine Anhaltspunkte ersichtlich. Selbst wenn die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 9 Abs. 1 S. 1 POG vorgelegen hätten, wäre die Ablichtung der Klägerin daher nicht erforderlich beziehungsweise unangemessen gewesen.
3. Da die Klage im Hauptantrag Erfolg hat, ist über den hilfsweise gestellten Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit dieser Anordnung nicht mehr zu entscheiden.
V. Der Klageantrag zu 5), gerichtet auf die Feststellung der Rechtswidrigkeit des von der Klägerin be‐ haupteten Verbots, den direkten Weg durch die Fußgängerzone zum Parkplatz ihres Kraftfahrzeugs zu nehmen, ist – selbst wenn man unterstellt, dass ein solches Verbot tatsächlich erteilt wurde – bereits unzulässig.
Es kann zunächst dahingestellt bleiben, ob es sich bei dieser mittlerweile erledigten Maßnahme um ei‐ nen Verwaltungsakt mit eigener Regelungswirkung (§ 35 S. 1 VwVfG) handelte oder bloß um einen un‐ selbständigen Annex zum erteilten Platzverweis. Denn ungeachtet der Frage, ob hier die Fortsetzungsfeststellungsklage (§ 113 Abs. 1 S. 4 VwGO analog) oder die allgemeine Feststellungsklage (§ 43 Abs. 1 Alt. 1 VwGO) statthaft ist, fehlt es jedenfalls an dem für beide Klagearten gleichermaßen erforderli‐ chen schutzwürdigen Interesse der Klägerin an der begehrten Feststellung (vgl. BVerwG Urteil vom 28.3.2012 – 6 C 12.11 – BVerwGE 143, 74-87, juris, Rn. 15). Zur Vermeidung von Wiederholungen wird diesbezüglich auf die Ausführungen unter II.2. verwiesen.
Insbesondere liegt im Hinblick auf das Verbot, den direkten Weg durch die Fußgängerzone zu wählen, weder eine schwerwiegende Grundrechtsverletzung vor noch besteht eine konkrete Wiederholungsge‐ fahr. Das Verbot, den direkten Weg zum Parkplatz ihres Kraftfahrzeugs zu nehmen, beeinträchtigte die Klägerin nur geringfügig in ihrer körperlichen Bewegungsfreiheit beziehungsweise in ihrer allgemeinen Handlungsfreiheit, da sie einmalig daran gehindert war, durch die Fußgängerzone und somit auf einem direkteren Weg zu ihrem Fahrzeug zu gelangen. Eine konkrete Wiederholungsgefahr besteht ebenfalls nicht, denn es ist nicht beachtlich wahrscheinlich, dass die Klägerin noch einmal in eine Lage mit glei‐ chen tatsächlichen Verhältnissen geraten und ihr gegenüber erneut ein derartiges Verbot erteilt wird.
Vor diesem Hintergrund war auch der vom Klägerbevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung ge‐ stellte Antrag, „zum Beweis der Tatsache, dass der Klagepartei verboten wurde, den direkten Weg zum Parkplatz ihres Fahrzeuges im ‚ ...parkhaus‘ zu nehmen“ eine Zeugin zu vernehmen, abzulehnen (§ 86 Abs. 2 VwGO). Die unter Beweis gestellte Tatsache ist – wie dargestellt – für den Ausgang des Rechts‐ streits rechtlich nicht relevant, da sie nicht geeignet ist, die Entscheidung in irgendeiner Weise zu beeinflussen (vgl. § 244 Abs. 3 S. 3 Nr. 2 StPO), sodass es an der Entscheidungserheblichkeit fehlt (vgl. dazu: Schübel-Pfister in: Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 86 Rn. 70).
C) Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 155 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 167 Abs. 1 und 2 VwGO, 708 Nr. 11, 711 der Zivilpro‐ zessordnung – ZPO -. In Bezug auf den Beklagten ist der Ausspruch einer Abwendungsbefugnis nach § 711 ZPO entbehrlich, da bei ihm kein Ausfallrisiko besteht.
Gründe, die Berufung nach § 124 a Abs. 1 iVm § 124 Abs. 2 Nrn. 3 und 4 VwGO zuzulassen, liegen nicht vor.