logo covid-justiz
Entscheidungen nach Jahren
Laufende Verfahren:
Chronologie der Ereignisse:

Impfschaden? OLG Hamm befreit Ärzte von Haftung indem es sie zu haftungsrechtlichen Beamten erklärt

OLG Hamm, Urteil vom 19.06.2024, Gz. 3 U 119/23

Zusammenfassung

Ein Mann, Berufskraftfahrer, war eigentlich wegen einer Leistenoperation in der Arztpraxis der Beklagten. Heraus kam er mit einer Boosterimpfung. Denn: An diesem Tag war großer Impftag in der Praxis – es wurden weit über 100 Spritzen verabreicht.

Kurz nach dieser ging es für ihn gesundheitlich bergab und er musste sich sogar in stationäre Behandlung begeben. Diagnostiziert wurden

  • Herzprobleme und

  • Nierenversagen.

Zudem klagte er über

  • Thoraxschmerzen,

  • Störungen von Konzentrationsfähigkeit

Er sagt, er könne seine Tätigkeit als Berufskraftfahrer nicht mehr ausüben.

Er fordert daher Schmerzensgeld und von der beklagten Ärztin, da er nicht hinreichend aufgeklärt worden sei.

Das LG Dortmund wies die Klage ab. Bestätigt durch das OLG Hamm.

  Zeitlicher Ablauf

1. Impfung
11.05.2021
2. Impfung
21.07.2021
3. Impfung
15.12.2021
Luftnot. + Verdachtsdiagnose Herzinsuffiziens
05.01.2022
Stationäre Behandlung
08.01.2022 – 17.01.2022
Urteil LG Dortmund (1.Instanz)
01.06.2023
Urteil OLG Hamm (2. Instanz)
19.06.2024
19.06.2024

Anmerkung

Dass eine rechtlich wirksame Aufklärung stattgefunden hat, kann man schon hinsichtlich der blanken Zahlen bezweifeln. Das Gericht hat festgestellt, dass

„weit über 100 Impfungen“

an dem Tag stattgefunden haben.

Kurz gerechnet: Bei 120 Impfungen, verteilt auf 8 Stunden (ohne Pause) ergibt dies 4 Minuten pro Spritze – inklusive korrektem Aufklärungsgespräch. Das halte ich nicht für möglich. Selbst bei zwei Ärzten in der Praxis (8 Minuten pro Spritze) oder 3 Ärzten (12 Minuten) – alles non-stop – ist das unrealistisch. Allein diese Zahlen machen die mangelnde Aufklärung plausibel.

Aber hatte der Kläger dann nicht gute Karten vor Gericht?

Nicht vor dem LG Dortmund. Denn dieses ist schlicht der Meinung, der Arzt hafte dennoch nicht. Warum? Nunja: die Ärzte hätten ja lediglich dem Staat geholfen und daher haften sie nur wie Beamte, Zitat:

„Nach diesen Grundsätzen handelten die Beklagte und ihre Mitarbeiter und Praxispartner bei der Durchführung der Impfung hoheitlich, denn der Staat bediente sich im streitgegenständlichen Zeitraum der niedergelassenen Ärzte, um sein Ziel der möglichst flächendeckenden Impfung der Bevölkerung zu realisieren.“

Nun ja, der Staat strebt auch bei vielen anderen Leistungen eine flächendeckende Versorgung an – auch bei Impfungen, z.B. Masern. Aber das lässt das Gericht nicht gelten, Zitat:

„Die Schutzimpfung gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 unterscheidet sich insofern grundlegend von anderen Schutzimpfungen, bei denen der Staat lediglich eine Empfehlung ausspricht und bei denen deshalb auch ein Privater als impfende Person haftet (vgl. BGHZ 144, 1 = NJW 2000, 1784 zum oralen Polio-Impfstoff).“

Und damit ist dann eine Haftung gegen den Arztes wirklich ausgeschlossen? Selbst Beamte haften im Falle grober Fahrlässigkeit und erst Recht bei Vorsatz. Wenn also der Arzt nicht ordnungsgemäß aufgeklärt hat, dann müsste dies doch zumindest grob fahrlässig sein, oder? Das sagt das LG Dortmund:

„Die Amtshaftung verdrängt sodann eine Haftung der impfenden Person, denn eine Eigenhaftung eines Beamten (im haftungsrechtlichen Sinne) kommt nicht in Betracht, wenn eine Amtshaftung des Staates (kombiniert aus Eigenhaftung des Beamten und Haftungsübernahme des Staates) nach § 839 BGB iVm Art. 34 GG als lex specialis greift.“

Und das ganze wurde durch die nächste Instanz OLG Hamm abgesegnet, Zitat:

„Dementsprechend handelte das medizinische Personal in den staatlichen Impfzentren, aber auch in den später in die Impfkampagne einbezogenen Arztpraxen und Apotheken – vom Staat eingesetzt – in Erfüllung dieser hoheitlichen Aufgabe mit der Folge, dass die impfenden Ärzte und Mitarbeiter als Beamte im haftungsrechtlichen Sinne anzusehen waren (vgl. auch Wringler, in: Herberger / Martinek / Rüßmann / Weth / Würdinger, jurisPK-BGB, § 839 Rdn. 623; Plagemann / Baumann, COVuR 2021, 514ff; Rahn, GuP 2023, 208ff; Dutta NJW 2022, 649ff; offengelassen auf der Heiden, r+s 2023, 433ff; auf der Heiden, NJW 2022, 3737ff).“

Aber der Patient hat doch einen Behandlungsvertrag mit dem Arzt abgeschlossen. Haftet der Arzt nicht wegen mangelhafter Leistung aus dem Vertrag? Nein, meint das OLG Hamm:

„Soweit abweichend hiervon die Auffassung vertreten wird, dass dies nur für die Schutzimpfungen in Impfzentren und mobilen Impfteams gelte und dass gegen niedergelassene Ärzte ein Schadensersatzanspruch aus dem Behandlungsvertrag in Betracht komme ...) kann dies nicht überzeugen.


Wie eingangs dargestellt, kommt es bei der Haftung im Falle der Einbindung privater Akteure in hoheitliche Aufgaben lediglich auf die Zielsetzung der Tätigkeit und gerade nicht auf die Rechtsbeziehung zwischen dem Leistungserbringer und der öffentlich-rechtlichen Körperschaft an. (...)


Hieraus folgt, dass sämtliche (...) in § 3 CoronaImpfVO genannten Leistungserbringer – unabhängig von der Organisation und dem Ort ihrer Tätigkeit – gleichermaßen hoheitliche Aufgaben erfüllt haben, daher als verlängerter Arm des Staates zur Erfüllung dieser Aufgaben tätig waren (...)“

Allerdings: Zur strafrechtlichen Verantwortlichkeit hat sich das Gericht nicht geäußert.

Die Entscheidung des Gerichts:


Amtlicher Leitsatz

Im Rahmen der Schutzimpfung gegen das Corona-Virus SARS-CoV-2 haben die impfenden Ärzte und Mitarbeiter im Jahr 2021 in Erfüllung einer hoheitlichen Aufgabe und damit als Beamte im haftungsrechtlichen Sinne gehandelt.Die daraus resultierende Haftungsübernahme des Staates gemäß § 839 BGB, Art. 34 GG schließt Direktansprüche etwaiger Geschädigter gegen den impfenden Arzt aus.

Tenor

  1. Die Berufung des Klägers gegen das am 27.07.2023 verkündete Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Dortmund wird zurückgewiesen.

  2. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger.

  3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn diese nicht vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

  4. Die Revision wird zugelassen.

Entscheidungsgründe

Gründe:

  1. Der Kläger (geb.: 00.00.1989) nimmt die Beklagte aufgrund einer seines Erachtens fehlerhaften und unzureichend aufgeklärten Schutzimpfung gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 auf Zahlung von Schmerzensgeld und außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten sowie Feststellung der Ersatzpflicht für sämtliche materiellen und nicht vorhersehbaren immateriellen Schäden in Anspruch.

    Die Beklagte ist niedergelassene Ärztin für Allgemeinmedizin in einer Gemeinschaftspraxis in T.. Nach zwei vorangegangenen Impfungen im Mai und Juli 2021 erhielt der Kläger in ihrer Praxis am 00.12.2021 die dritte, s.g. „Boosterimpfung“ gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 mit dem Impfstoff „spikevax“ der Firma V. durch eine Praxis-Mitarbeiterin, wobei der genaue Ablauf der Impfung sowie die Gespräche vor dieser und den vorangegangenen Impfungen zwischen den Parteien streitig sind.

    Hinsichtlich des Sach- und Streitstandes erster Instanz sowie der dort gestellten Anträge wird gemäß § 540 Abs. 1 ZPO auf die tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

    Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Ansprüche des Klägers gegen die Beklagte aus Vertrag gemäß §§ 630a, 280, 249, 253 BGB oder Delikt gemäß §§ 823, 831, 249, 253 BGB seien gemäß Art. 34 S. 1 GG ausgeschlossen, da die Beklagte, ihr Praxis-Partner und ihre Mitarbeiterin in Ausübung der ihnen insoweit übertragenen hoheitlichen Aufgaben als Beamte im haftungsrechtlichen Sinne gehandelt hätten, weshalb die Verantwortlichkeit für ein etwaiges Fehlverhalten allein das Land NRW treffe. Der Staat habe sich im streitgegenständlichen Zeitraum der niedergelassenen Ärzte bedient, um sein Ziel einer möglichst flächendeckenden Impfung der Bevölkerung gegen das Coronavirus zu realisieren. Zur Erreichung dieses Ziels habe die Bundesregierung gemäß § 20i Abs. 3 S. 2 SGB V i.V.m. CoronaImpfVO einen Anspruch jedes Bürgers auf eine entsprechende Schutzimpfung geschaffen. Diesen Anspruch habe der Staat nur durch Heranziehung sämtlicher verfügbaren medizinischen Fachkräfte erfüllen können. Kostenträger der Impfung sei allein der Staat gewesen. Die Schutzimpfung gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 habe sich insofern grundlegend von anderen Schutzimpfungen unterschieden, bei denen der Staat lediglich eine Empfehlung ausgesprochen habe und bei denen die impfenden Personen als Private hafteten.

    Mit der Berufung verfolgt der Kläger seine erstinstanzlichen Klageanträge vollumfänglich weiter, wobei er – abweichend von seinem erstinstanzlichen Vortrag – in der Berufungsbegründung ein Schmerzensgeld i.H.v. 800.000,00 € für angemessen hält. Dazu behauptet er, dass er infolge der Impfung an einer schwerwiegenden dilatativen Kardiomyopathie mit einer linksventrikulären Ejektionsfraktion von lediglich 15 % leide, was zu erheblichen physischen und psychischen Einschränkungen führe und eine Herztransplantation notwendig mache.

    Er ist der Ansicht, dass das Landgericht zu Unrecht davon ausgegangen sei, dass die Beklagte, der Partner und die Mitarbeiterin der Beklagten bei der streitgegenständlichen Impfung in Ausübung einer ihnen übertragenen hoheitlichen Aufgabe als Beamte im haftungsrechtlichen Sinne gehandelt hätten. Das Landgericht habe bei seiner Entscheidung die Besonderheiten der durch das SGB V geregelten vertragsärztlichen Versorgung verkannt. § 2 SGB V kodifiziere einen Anspruch des Bürgers auf Zurverfügungstellung medizinischer Leistungen. Obwohl der Vertragsarzt in Erfüllung dieses Anspruchs als ausführendes Organ tätig werde und mit der Krankenkasse nach festgelegten Regeln abrechne, sei allgemein anerkannt, dass er gerade nicht als Beamter im haftungsrechtlichen Sinne tätig werde. Der Impfanspruch gemäß § 20i Abs. 3 SGB V unterliege derselben Wertung. Daran ändere auch die vom Landgericht angeführte Abrechnung und Finanzierung der Impfung nichts. Vertragsärzte rechneten die im Rahmen der vertragsärztlichen Tätigkeit erbrachten Leistungen grundsätzlich mit den Körperschaften des öffentlichen Rechts ab.

    Der Kläger beantragt,

    unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Dortmund vom 01.06.2023, Aktenzeichen: 4 O 163/22,

    1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn ein angemessenes Schmerzensgeld welches den Betrag in Höhe von 800.000,00 nicht unterschreiten sollte, nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 09.04.2022 zu zahlen,

    2. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihm sämtliche materiellen und immateriellen Schäden, letztere soweit nicht vorhersehbar, zu ersetzen, soweit diese nicht auf Dritte oder Sozialversicherungsträger übergegangen sind,

    3. die Beklagte zu verurteilen, an ihn außergerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 10.802,82 € nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

    Die Beklagte beantragt,

    die Berufung zurückzuweisen.

    Sie verteidigt das angefochtene Urteil unter Wiederholung ihrer erstinstanzlichen Rechtsauffassung.

  2. Die Berufung des Klägers ist zulässig, sie hat in der Sache jedoch keinen Erfolg.

    Zutreffend hat das Landgericht einen Anspruch des Klägers gegen die Beklagte aus Vertrag gemäß §§ 280, 630a, 249, 253 BGB und aus Delikt gemäß §§ 831, 823, 249, 253 BGB unter Hinweis auf die Staatshaftung gemäß § 839 BGB i.V.m. Art. 34 S. 1 GG verneint. Die Beklagte, ihr Praxis-Partner und ihre Mitarbeiterin handelten bei der Impfung des Klägers gegen das Coronavirus am 00.12.2021 in Ausübung der ihnen übertragenen hoheitlichen Aufgaben als Beamte im haftungsrechtlichen Sinne.

    Für die Auslegung, ob eine schädigende Person Beamter i.S.v. § 839 BGB i.V.m. Art. 34 S. 1 GG ist, ist nicht das persönliche Rechtsverhältnis dieser Person zu der öffentlich-rechtlichen Körperschaft maßgeblich, sondern die nach außen wahrgenommene Funktion. Beim Einsatz privater Personen zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben ist entscheidend, ob die Zielsetzung der hoheitlichen Tätigkeit zuzurechnen ist und ob zwischen dieser Zielsetzung und der schädigenden Handlung ein so enger äußerer und innerer Zusammenhang besteht, dass diese Handlung ebenfalls der hoheitlichen Tätigkeit zuzurechnen ist (vgl. BGH, Urteil vom 18.02.2014, Az.: VI ZR 383/12; BGH, Urteil vom 14.05.2009, Az.: III ZR 86/08; Papier/Shirvani, in: Münchener Kommentar zum BGB, 9. Auflage 2024, § 839 Rdn. 193f; Reinert, in: Hau / Poseck, BeckOK BGB, 70. Edition, Stand: 01.08.2023, § 839 Rdn. 4). Dies ist bei einem inneren Zusammenhang und einer engen Beziehung zwischen der Betätigung des Privaten und der hoheitlichen Aufgabe der Fall. Je stärker der hoheitliche Charakter der Aufgabe in den Vordergrund tritt, je enger die Verbindung zwischen der übertragenen Tätigkeit und der von der öffentlichen Hand zu erfüllenden hoheitlichen Aufgabe und je begrenzter der Entscheidungsspielraum des Privaten ist, desto näher liegt es, ihn als Beamten im haftungsrechtlichen Sinne anzusehen (BGH, Urteil vom 18.02.2014, Az.: VI ZR 383/12; Reinert, a.a.O., § 839 Rdn. 15; weitergehend demgegenüber Papier / Shirvani, a.a.O., § 839 Rdn. 201).

    Wie das Landgericht in Anwendung dieser Auslegungsgrundsätze zutreffend und ausführlich begründet entschieden hat, handelten die Beklagte, ihr Praxis-Partner und ihre Mitarbeiterin bei der Schutzimpfung des Klägers gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 seinerzeit in Ausübung einer hoheitlichen Funktion.

    Um das Ziel einer flächendeckenden Impfung der Bevölkerung und der Eindämmung des Coronavirus SARS-CoV-2 zu erreichen, hat die Bundesregierung im Dezember 2020 auf der Grundlage des § 20i Abs. 3 S. 2 SGB V die CoronaImpfVO erlassen und die Corona-Schutzimpfung zur hoheitlichen Aufgabe gemacht. Danach hatten alle Personen, die in der Bundesrepublik Deutschland in der gesetzlichen oder privaten Krankenversicherung waren, sowie alle, die dort ihren gewöhnlichen Aufenthalt hatten, im Rahmen der Verfügbarkeit der vorhandenen Impfstoffe gemäß § 1 CoronaImpfVO einen Anspruch auf Schutzimpfung gegen das Coronavirus SARS-CoV-2. Neben diesem Leistungsanspruch waren in der CoronaImpfVO die Organisation und Abrechnung der Schutzimpfungen detailliert geregelt. Gemäß § 6 CoronaImpfVO (Stand: 18.12.2020) erfolgte die Impfung zunächst ausschließlich in staatlich eingerichteten und organisierten Impfzentren und diesen angegliederten mobilen Impfteams. Als im Jahr 2021 mehr Impfstoff zur Verfügung stand, wurden zur Impfung ferner an Impfzentren angegliederte beauftragte Arztpraxen und Betriebsärzte eingesetzt sowie später auch vertragsärztliche und private Arztpraxen und schließlich sogar Zahnärzte, Tierärzte und Apotheker. Bereits die skizzierte Struktur der Leistungserbringer verdeutlicht, dass die Impfung seinerzeit eine hoheitliche Aufgabe darstellte. Für diese Einordnung spricht auch, dass sie vollständig vom Staat finanziert wurde. Zwar erfolgte die Abrechnung über die kassenärztliche Vereinigung, die von dieser gezahlten Beträge wurden jedoch vollständig vom Bund erstattet. Erst seit dem 08.04.2023 trägt nicht mehr der Bund die Kosten für die Corona-Schutzimpfung, sondern– ebenso wie bei anderen Schutzimpfungen – die Krankenkassen. Bereits deshalb war die Impfung gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 – entgegen der Ansicht des Klägers – nicht mit den übrigen, im SGB V geregelten vertragsärztlichen Leistungen im Rahmen der Gesundheitsfürsorge vergleichbar.

    Hinzu kommt, dass der Entscheidungsspielraum der zur Impfung eingesetzten Ärzte auch durch die in der CoronaImpfVO enthaltenen strengen Regelungen zur Priorisierung der Patientengruppen stark eingeschränkt war. Diese Priorisierung richtete sich einerseits nach der gesundheitlichen Konstitution und den individuellen Risiken der Anspruchsberechtigten. Andererseits verfolgte die Priorisierung jedoch auch den Zweck der Aufrechterhaltung zentraler staatlicher Funktionen und Bereiche der Daseinsfürsorge, weshalb bestimmte Berufsgruppen beim Erhalt der Impfung vorgezogen wurden. Auch diese, für den Bereich der Gesundheitsfürsorge untypische Zielsetzung bestätigt den hoheitlichen Charakter der Schutzimpfung.

    Dementsprechend handelte das medizinische Personal in den staatlichen Impfzentren, aber auch in den später in die Impfkampagne einbezogenen Arztpraxen und Apotheken – vom Staat eingesetzt – in Erfüllung dieser hoheitlichen Aufgabe mit der Folge, dass die impfenden Ärzte und Mitarbeiter als Beamte im haftungsrechtlichen Sinne anzusehen waren (vgl. auch Wringler, in: Herberger / Martinek / Rüßmann / Weth / Würdinger, jurisPK-BGB, § 839 Rdn. 623; Plagemann / Baumann, COVuR 2021, 514ff; Rahn, GuP 2023, 208ff; Dutta NJW 2022, 649ff; offengelassen auf der Heiden, r+s 2023, 433ff; auf der Heiden, NJW 2022, 3737ff).

    Soweit abweichend hiervon die Auffassung vertreten wird, dass dies nur für die Schutzimpfungen in Impfzentren und mobilen Impfteams gelte und dass gegen niedergelassene Ärzte ein Schadensersatzanspruch aus dem Behandlungsvertrag in Betracht komme (Wagner, in: Münchener Kommentar BGB, a.a.O., § 823 Rdn. 239; Bergmann / Krekeler, in: Bergmann / Pauge / Steinmeyer, Gesamtes Medizinrecht, 4. Auflage 2024, § 839 BGB Rdn. 14; Bergmann / Krekeler, ZMGR 2021, 88), kann dies nicht überzeugen. Wie eingangs dargestellt, kommt es bei der Haftung im Falle der Einbindung privater Akteure in hoheitliche Aufgaben lediglich auf die Zielsetzung der Tätigkeit und gerade nicht auf die Rechtsbeziehung zwischen dem Leistungserbringer und der öffentlich-rechtlichen Körperschaft an. Insoweit ist auch zu berücksichtigen, dass die sukzessive Ausdehnung des Kreises der Leistungserbringer in der CoronaImpfVO allein mit der Verfügbarkeit größerer Impfstoff-Mengen begründet wurde. An dem übergeordneten Ziel der Erfüllung des staatlichen Impfanspruchs zum Zwecke des individuellen Gesundheitsschutzes sowie der Aufrechterhaltung zentraler staatlicher Funktionen und zentraler Bereiche der Daseinsfürsorge wurde durch diese Umstrukturierung demgegenüber nichts verändert. Hieraus folgt, dass sämtliche der zur Zeit der streitgegenständlichen Impfung am 00.12.2021 in § 3 CoronaImpfVO genannten Leistungserbringer – unabhängig von der Organisation und dem Ort ihrer Tätigkeit – gleichermaßen hoheitliche Aufgaben erfüllt haben, daher als verlängerter Arm des Staates zur Erfüllung dieser Aufgaben tätig waren und dabei auch die drittschützende Pflicht, den medizinischen Standard bei der Corona-Schutzimpfung zu wahren, übernommen haben.

    Die staatliche Haftungsübernahme im Falle einer Verletzung dieser Pflicht gemäß § 839 BGB i.V.m. Art. 34 S. 1 GG schließt Direktansprüche etwaiger Geschädigter gegen den impfenden Arzt aus.

  3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

    Der Senat hat die Revision gemäß § 543 Abs. 2 S. 1 ZPO zugelassen. Bereits aufgrund der Vielzahl der während der Corona-Pandemie verabreichten Impfungen und damit auch der Vielzahl potentieller Haftungsfälle hat die in diesem Rechtsstreit entscheidungserhebliche Frage, ob die impfenden Ärzte und Mitarbeiter als Beamte i.S.v. § 839 BGB i.V.m. Art. 34 S. 1 GG anzusehen und daher nicht persönlich in Anspruch zu nehmen sind, grundsätzliche Bedeutung i.S.v. § 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO. Darüber hinaus ist eine Entscheidung des Revisionsgerichts auch zur Fortbildung des Rechts erforderlich (§ 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 1. Alt. ZPO), weil sich die im Zusammenhang mit der Corona-Schutzimpfung stellenden Fragen aufgrund der pandemiebedingten Besonderheiten so zuvor nicht gestellt haben, die aufgezeigte Frage daher bislang auch nicht höchstrichterlich entschieden wurde. Soweit der Bundesgerichtshof die vom Landkreis mit der Durchführung öffentlich empfohlener Impfungen im Gesundheitsamt betrauten Impfärzte als Beamte im haftungsrechtlichen Sinne angesehen hat (BGH, Urteil vom 15.02.1990. Az.: III ZR 100/88), betrifft dies eine andere Fallkonstellation als die vorliegend zu entscheidende Konstellation, in der im Rahmen der bundesweiten Impfkampagne zum Schutz gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 die Impfung von einer niedergelassenen Ärztin in ihrer Praxis durchgeführt wurde. Dementsprechend wird diese Tätigkeit – wie oben dargelegt – in der juristischen Fachliteratur auch unterschiedlich bewertet.

    Mit Beschluss vom 15.07.2024 wurde das Rubrum des Urteils dahingegen berichtigt, dass vor dem Tenor der Zusatz "für Recht erkannt" eingefügt wird.