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Ausgangssperre Köln im Frühjahr 2021

VG Köln, Urteil vom 29.11.2022, Gz. 7 K 2143/21

Zusammenfassung

Die Stadt Köln verhängte ab dem 16.04.2021 eine Ausgangssperre für die Zeit zwischen 21:00 Uhr und 5:00 Uhr. Diese galt über ein Jar und trat am 17.05.2022 außer Kraft. Der Kläger rief das VG Köln an und begehrte die Feststellung, dass die Ausgangssperre rechtswidrig sei. Da VG wies die Klage ab.

Anmerkung

Zunächst ist positiv zu bemerken, dass das Gericht den Eingriff in die Grundrechte durchaus als schwerwiegend beurteilt (Zitat):

„Die (…) Ausgangsbeschränkung stellt zweifelsohne einen schwerwiegenden Eingriff in die von Art. 2 Abs. 1 GG geschützte Handlungsfreiheit (…) dar.“

Zu kritisieren sind allerdings die folgenden Punkte:

  • Unkritische Annahme, dass eine Ausgangsbeschränkung durch Allgemeinverfügung ergehen dürfe. Dies ist alles andere als selbstverständlich und sollte daher auch nicht als Selbstverständlichkeit behandelt werden.
  • Unkritische Übernahme des sogenannten Inzidenzwertes. Obwohl bereits zum damaligen Zeitpunkt öffentlich bekannt war, dass die sogenannten Inzidenzwerte wenig bzw. keine Aussagekraft besitzen, problematisiert das Gericht diesen Aspekt nicht mal im Ansatz. Dies ist problematisch, weil damit die Rechtmäßigkeit der Maßnahme steht und fällt.
  • Fehlerhafte Verhältnismäßigkeitsprüfung.
  • Insbesondere der Aspekt „Fehlerhafte Verhältnismäßigkeitsprüfung“ soll kurz beleuchtet werden. Bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung hat ein Gericht alles, was für und gegen einen Grundrechtseingriff spricht, zu würdigen. Bei einer Ausgangssperre ist also auch zu würdigen, welche Belastungen mit dieser einhergehen – das macht das VG Köln hier aber nur ausgesprochen oberflächlich. Es unterschlägt vollständig die psychischen und physischen Belastungen und damit erheblichen negativen gesundheitlichen Auswirkungen einer Ausgangssperre:

    • Sportliche Aktivitäten konnten nicht mehr oder nur noch unter deutlich erschwerten Bedingungen stattfinden,
    • eine Kompensation psychischer Belastungen durch körperliche Aktivität wurde wochenlang unterbunden,
    • Vereine lösten sich auf, Mitglieder kündigten,
    • Familienmitglieder waren gezwungen, wochenlang abends in der Wohnung auszuharren, während allein lebende Familienmitglieder nicht mehr besucht werden konnten.

Diese Aspekte würdigt das Gericht nicht.

Und es stellt auch nicht dar, warum diese und andere Aspekte keine Rolle spielen sollen.

Ferner geht aus der Entscheidung auch nicht hervor, was konkret durch diese Ausgangsbeschränkung erreicht werden sollte. Zwar spricht das Gericht an, dass die Ausbreitung von SARS-CoV-2 unterbunden werden sollte – aber aus welchem Grund? Warum sollte die Ausbreitung verhindert werden? Das bleibt im Dunkeln. Damit fehlt es aber an einer vernünftigen Begründung für den Grundrechtseingriff, um den es hier geht.

Das Gericht lässt außer Acht, dass weder die Funktionsfähigkeit des Gesundheitssystems bedroht war noch dass es sich um eine besonders schwerwiegende oder gar tödliche Krankheit handelt. Folgt man der Argumentation des Gerichts, so wäre eine Ausgangssperre auch bei einer Influenzawelle rechtmäßig.

Die Entscheidung des Gerichts:

Tenor

  1. Die Klage wird abgewiesen.
  2. Der Kosten des Verfahrens trägt der Kläger.
  3. Das Urteil ist hinsichtlich der Kostenentscheidung vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand und Entscheidungsgründe

  1. Tatbestand
  2. Der Kläger begehrt die nachträgliche Feststellung, dass die in einer Allgemeinverfügung der Beklagten im Gefolge der Corona-Pandemie getroffene Anordnung einer nächtlichen Ausgangsbeschränkung rechtswidrig gewesen ist.
  3. Der Kläger lebt in Köln-O.
  4. Seit dem 15. März 2021 überstieg die 7-Tages-Inzidenz in der Stadt Köln den Wert von 100, seit dem 26. März den Wert von 130. Am 16. April 2021 lag die 7-Tages-Inzidenz in der Stadt Köln bei einem Wert von 162,7.
  5. Die Beklagte erließ am 16. April 2021 die streitgegenständliche Änderung der Allgemeinverfügung vom 2. Oktober 2020 zur regionalen Anpassung der Coronaschutzverordnung an das Infektionsgeschehen in der Stadt Köln. § 1 der Allgemeinverfügung enthielt daraufhin die folgende Regelung:
  6. „Nr. 1a Ausgangsbeschränkung
  7. ¹In der Zeit von 21 Uhr bis 5 Uhr des Folgetags gilt eine Ausgangsbeschränkung. ²Der Aufenthalt außerhalb der Wohnung oder sonstigen Unterkunft und dem jeweils dazugehörigen befriedeten Besitztum ist in dieser Zeit bei Vorliegen folgender triftiger Gründe gestattet:
  8. a) Abwendung einer konkreten Gefahr für Leib, Leben und Eigentum,
  9. b) Ausübung beruflicher und dienstlicher Tätigkeiten, einschließlich der unaufschiebbaren beruflichen, dienstlichen oder akademischen Ausbildung sowie der Teilnahme ehrenamtlich tätiger Personen an Übungen und Einsätzen von Feuerwehr, Katastrophenschutz und Rettungsdienst, jeweils die An- und Abreise auf direktem Weg zu diesen Tätigkeiten eingeschlossen,
  10. c) Inanspruchnahme medizinischer, pflegerischer, therapeutischer und veterinärmedizinischer Leistungen,
  11. d) Begleitung und Betreuung von unterstützungsbedürftigen Personen und Minderjährigen, insbesondere die Wahrnehmung des Sorge- und Umgangsrechts im jeweiligen privaten Bereich,
  12. e) Begleitung und Betreuung von sterbenden Personen und von Personen in akut lebensbedrohlichen Zuständen,
  13. f) unaufschiebbare Handlungen zur Versorgung von Tieren sowie Maßnahmen der Tierseuchenprävention und zur Vermeidung von Wildschäden,
  14. g) sonstige vergleichbar gewichtige und unabweisbare Gründe.“
  15. Ziffer III. der Änderung der Allgemeinverfügung ist zu entnehmen, dass diese am Tage nach der öffentlichen Bekanntmachung in und unter Änderung des § 2 mit Ablauf des 3. Mai 2021 außer Kraft trete. Zur Begründung führte die Beklagte aus, dass die Anordnung der Ausgangsbeschränkung zulässig sei, da auch bei Berücksichtigung aller bisher getroffenen anderen Schutzmaßnahmen eine wirksame Eindämmung der Verbreitung der Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19) erheblich gefährdet sei. Im Übrigen kann auf den Inhalt der Begründung vom 16. April 2021 verwiesen werden (https://www.stadt-koeln.de/mediaasset/content/bekanntmachungen/2021/2021.04.16_0079-01_coronaschutzvo_regionale_anpassung_vom_16.04.2021.pdf).
  16. Am 3. Mai 2021 verlängerte die Beklagte die Geltungsdauer der in der Allgemeinverfügung geregelten Ausgangsbeschränkung bis zum Ablauf des 17. Mai 2022 (https://www.stadt-koeln.de/mediaasset/content/bekanntmachungen/2021/2021.05.03_0091-01_coronaschutzvo_regionale_anpassung_vom_03.05.2021.pdf).
  17. Der Begründung ist zu entnehmen, dass die Voraussetzungen für eine Verschärfung der CoronaSchVO nach § 16 Abs. 2 vorlägen, da der Inzidenzwert in Köln nachhaltig und signifikant über 100 läge (3. Mai 2021: 188,8). Zudem habe sich nichts an der angespannten medizinischen Versorgungslage geändert. Auch die Ausgangsbeschränkung durch die sog. Bundesnotbremse mache die städtische Regelung nicht entbehrlich. Man halte eine ab 22.00 Uhr geltende Ausgangsbeschränkung für deutlich weniger effektiv, da sie erheblich weniger Kontakte unterbinde.
  18. Mit Ablauf des 17. Mai 2022 trat die in § 1 Nr. 1a der Allgemeinverfügung geregelte Ausgangsbeschränkung außer Kraft. Der Begründung der Beklagten war zu entnehmen, dass sich aufgrund der gesunkenen 7-Tages-Inzidenzen (Stand 17. Mai 2022: 105,3) die gegenüber der Bundesnotbremse verschärfte Ausgangsbeschränkung als nicht erforderlich, jedenfalls nicht mehr als verhältnismäßig darstelle
  19. (https://www.stadt-koeln.de/mediaasset/content/bekanntmachungen/2021/2021.05.17_0102-02_coronaschutzvo_regionale_anpassung_vom_17.05.2021.pdf)./li>
  20. Der Kläger hat bereits am 18. April 2021 Klage gegen die in § 1 Nr. 1a der Allgemeinverfügung geregelte Ausgangsbeschränkung erhoben. Seinen Antrag, die aufschiebende Wirkung seiner Klage gegen die Änderung der Allgemeinverfügung vom 16. April 2021 bezüglich des § 1 Nr. 1a anzuordnen, hat die Kammer durch Beschluss vom 23. April 2021 abgelehnt (Az. 7 L 713/21).
  21. Zur Begründung seiner Klage trägt er vor, dass die Ausgangsbeschränkungen vor dem Hintergrund divergierender Inzidenzen in den verschiedenen Stadtteilen Kölns auf einzelne Stadtteile zu begrenzen seien. Die Inzidenzzahlen seien insbesondere in den sozial schwierigen Hotspots deutlich angestiegen. Hierbei sei zu berücksichtigen, dass Stadtteile mit hoher und niedriger Inzidenz aneinander grenzten. Danach fände keine Vermischung in den Milieus statt, sondern eine intensive Weitergabe der Infektion innerhalb von sozialen Hotspots. Der Kläger verweist zudem auf den Inhalt des Beschlusses des OVG Lüneburg vom 6. April 2021 (13 ME 166/21). Danach habe das Verwaltungsgericht Hannover zu Recht die aufschiebende Wirkung einer zum damaligen Zeitpunkt noch zu erhebenden Klage gegen die in einer Allgemeinverfügung verhängte Ausgangsbeschränkung angeordnet, da diese keine „notwendige Maßnahme“ im Sinne von § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG darstelle. Der Kläger vertritt die Auffassung, dass diese Voraussetzung auch für die streitgegenständliche Ausgangsbeschränkung nicht vorliege. Die Maßnahme verstoße insbesondere gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Als mildere Mittel komme die effektive Durchsetzung bereits erlassener Schutzmaßnahmen (Alkoholverbot, Abstandsregelung, Maskenpflicht) in Betracht. Die Ausgangsbeschränkung sei auch nicht dazu geeignet, die Verbreitung des Coronavirus zu verhindern. Denn der Aufenthalt im Freien ohne Kontakt zu anderen als haushaltsangehörigen Personen sei mit keinem relevanten Infektionsrisiko für Dritte verbunden. Sie führe außerdem dazu, dass Personen zum Verbleib in fremden Haushalten gezwungen seien, wenn sie diesen nicht vor 21:00 Uhr verließen, was wiederum zu erheblichen Infektionsgefahren führe. Die Ausgangsbeschränkung führe zudem nicht zu einer Verringerung, sondern zu einer Vorverlagerung der Kontakte, da die Betroffenen ihren Tagesablauf entsprechend umstellten. Die streitgegenständliche Ausgangsbeschränkung sei auch nicht erforderlich. Hierbei seien die in § 28a Abs. 2 Satz 1 IfSG geregelten besonderen Anforderungen zu berücksichtigen. Danach sei zur Beurteilung der Frage, ob ohne die streitgegenständliche Ausgangsbeschränkung die Verbreitung des Virus erheblich gefährdet wäre, eine von der diese Maßnahme anordnenden Behörde eine auf die jeweilige Pandemiesituation abstellende Gefährdungsprognose zu erstellen, der eine ex-ante Betrachtung zugrunde läge. Die in § 28a Abs. 2 IfSG genannten Maßnahmen stellten mithin die „ultima ratio“ dar. Der Kläger ist der Auffassung, dass die Begründung der Beklagten diesen Anforderungen nicht entspreche. Denn sie habe nicht erläutert, dass und in welchem Umfang sie Bemühungen unternommen habe, Kontaktbeschränkungen durch staatliche Kontrolle und Eingreifen zu verbessern. Letztlich sei die Ausgangsbeschränkung infolge der fehlenden Erforderlichkeit auch zwangsläufig unangemessen.
  22. In seinem Schriftsatz vom 9. März 2022 hat der Kläger zudem ausgeführt, dass die Behauptung der Beklagten, dass kein Fortsetzungsfeststellungsinteresse bestünde, abwegig sei. In Anbetracht der „verweigerten korrekten Prüfung der Verhältnismäßigkeit“ bestehe zumindest die Gefahr, dass die Beklagte ihr Verhalten künftig fortsetze.
  23. Der Kläger hat ursprünglich beantragt, § 1 Nr. 1a der streitgegenständlichen Änderung der Allgemeinverfügung vom 16. April 2021 aufzuheben. Er hat hilfsweise für den Fall der Unzulässigkeit einer Anfechtungsklage beantragt, die Rechtswidrigkeit von § 1 Nr. 1a festzustellen.
  24. Den Kläger beantragt nunmehr
  25. festzustellen, dass die Änderung der Allgemeinverfügung der Beklagten vom 16. April 2021 zur regionalen Anpassung der Coronaschutzverordnung NRW an das Infektionsgeschehen in der Stadt Köln vom 2. Oktober 2020 in Bezug auf § 1 Nr. 1a rechtswidrig gewesen ist.
  26. Die Beklagte beantragt,
  27. die Klage abzuweisen.
  28. Zu Begründung führt sie - unter Verweisung auf ihre Ausführungen im Eilverfahren - aus, dass der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 19. November 2021 („Bundesnotbremse“) auf die Zulässigkeit der Klage in Form eines Fehlens eines Fortsetzungsfeststellungsinteresse durchschlage. Zudem bestätige dieser Beschluss die Vorgehensweise der Beklagten umfänglich. Sie habe insbesondere das gesamte Stadtgebiet rechtsfehlerfrei mit einer Ausgangssperre versehen. Hierbei sei es darum gegangen, die privaten Kontakte in der Stadt zwischen 21 Uhr und 5 Uhr des Folgetags insgesamt zu reduzieren. Dass das Gebiet einer kreisfreien Stadt oder eines Landkreises eine rechtlich zulässige Bezugsgröße für Schutzmaßnahmen wie die Ausgangsbeschränkung gewesen sei, zeige nicht zuletzt die Regelung in § 28b Abs. 1 Satz 1 IfSG. Auf der Ebene der kreisfreien Stadt oder eines Landkreises seien Bezugsgrößen für Schutzmaßnahmen wie z.B. die 7- Tage-Inzidenz der Neuinfektionen mit SARS-CoV-2 pro 100.000 Einwohnern zuverlässig dargestellt. Je kleiner diese Gebietseinheiten hinsichtlich ihrer Einwohnerzahlen seien, desto größer seien die Ausschläge der 7-Tages-Inzidenz nach oben oder nach unten. Danach habe die einzelne Infektion bzw. Nichtinfektion mehr Auswirkungen auf die 7-Tages-Inzidenz der Neuinfektionen mit SARS-CoV-2 pro 100.000 Einwohnern. Zudem bliebe bei einer Bezugsgröße einer kleineren Gebietseinheit für Schutzmaßnahmen wie eine Ausgangsbeschränkung unberücksichtigt, dass sich soziale Interaktionen im Regelfall nicht auf Stadtteile oder Stadtviertel beschränkten.
  29. Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte verwiesen.
  30. Entscheidungsgründe
  31. Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
  32. Die ursprünglich als Anfechtungsklage erhobene Klage ist nunmehr als Fortsetzungsfeststellungsklage gemäß § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO statthaft und auch im Übrigen zulässig. Denn bei der in § 1 Nr. 1a der Änderung der Allgemeinverfügung der Beklagten vom 16. April 2021 zur regionalen Anpassung der Coronaschutzverordnung NRW an des Infektionsschutzgeschehen in der Stadt Köln vom 2. Oktober 2020 geregelten Ausgangsbeschränkung handelt es sich um einen Verwaltungsakt im Sinne von § 35 Satz 2 des Verwaltungsverfahrensgesetzes des Landes Nordrhein-Westfalen (VwVfG NRW), der sich mit Ablauf des 17. Mai 2021, mithin nach Erhebung der Klage am 18. April 2021 erledigt hat.

  33. Der Kläger hat auch ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts im Sinne von § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO, da es sich um einen sich typischerweise kurzfristig erledigenden Verwaltungsakt handelt. Grundsätzlich kann ein solches Fortsetzungsfeststellungsinteresse rechtlicher, wirtschaftlicher oder ideeller Natur sein. Es ist typischerweise in den anerkannten Fallgruppen der Wiederholungsgefahr, des Rehabilitationsinteresses sowie der Absicht zum Führen eines Schadensersatzprozesses gegeben, kann aber auch aus anderen Umständen des Einzelfalls hergeleitet werden, sofern die gerichtliche Entscheidung geeignet ist, die klägerische Position in rechtlicher, wirtschaftlicher oder ideeller Hinsicht zu verbessern.
  34. Vgl. u.a. BVerwG, Urteil vom 29. März 2017, 6 C 1.16, juris, Rn. 29.

  35. In all diesen Fällen muss das berechtigte Fortsetzungsfeststellungsinteresse jedoch über das bloße Interesse an der Klärung der Rechtswidrigkeit der betroffenen Verfügung hinausgehen. Ferner kann ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse mit Blick auf Art. 19 Abs. 4 GG auch aufgrund eines Grundrechtseingriffs bestehen, sofern aufgrund der typischerweise kurzfristigen Erledigung des betroffenen Verwaltungsaktes keine Möglichkeit bestand, die Maßnahme einer gerichtlichen Überprüfung in einem Hauptsacheverfahren zuzuführen,
  36. vgl. u.a. BVerwG, Urteil vom 16. Mai 2013, 8 C 14.12, juris, Rn. 30,

  37. wobei nicht endgültig geklärt ist, ob dies nur dann gilt, wenn hierdurch die Grundrechte schwerwiegend oder tiefgreifend betroffen sind.
  38. Vgl. hierzu die Nachweise der Rechtsprechung aufgeführt in OVG NRW, Urteil vom 25. August 2022, 13 D 33/20.NE, juris, Rn. 51, m.w.N.
  39. Zwar ist unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe eine Wiederholungsgefahr nicht gegeben, da sich sowohl die rechtlichen als auch die tatsächlichen Umstände maßgeblich verändert haben und auch noch fortlaufend verändern. Die Anordnung einer Ausgangsbeschränkung ist nach dem Ende der durch den Bundestag festgestellten „epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ nicht mehr möglich. Darüber hinaus ist vor dem Hintergrund einer - größtenteils - grundimmunisierten Bevölkerung, der Existenz neuer Varianten und dem fortlaufend dynamischen Pandemiegeschehen auch nicht von einem unveränderten Fortbestand der tatsächlichen Umstände auszugehen.
  40. Auch kommt ein Präjudizinteresse nicht in Betracht, da der Kläger nicht geltend macht, dass er wirtschaftliche Schäden durch die Ausgangsbeschränkung erlitten hat.
  41. Überdies scheidet ein Rehabilitations- oder Genugtuungsinteresse aus, da die Ausgangsbeschränkung keinen den Kläger diskriminierenden Charakter hatte und auch nicht seine Persönlichkeitsrechte beeinträchtigte.
  42. Bei der Regelung der Ausgangsbeschränkung handelt es sich jedoch um einen sich typischerweise kurzfristig erledigenden Verwaltungsakt, gegen den Rechtsschutz in einem gerichtlichen Hauptsachverfahren regelmäßig nicht zu erlangen ist. Die Ausgangsbeschränkung war lediglich für einen kurzen Zeitraum angelegt. Die am 16. April 2021 geänderte Allgemeinverfügung war zunächst bis zum Ablauf des 2. Mai 2021 und wurde am 3. Mai 2021 einmalig bis Ablauf des 17. Mai 2021 verlängert.
  43. Dahinstehen kann vorliegend, ob im Rahmen dieser Fallgruppe auch ein schwerwiegender Grundrechtseingriff vorliegen muss. Denn ein solcher ist in der vorliegenden Sache jedenfalls anzunehmen. Die streitgegenständliche Ausgangsbeschränkung stellt zweifelsohne einen schwerwiegenden Eingriff in die von Art. 2 Abs. 1 GG geschützte Handlungsfreiheit des Klägers dar.
  44. Vgl. VG Trier, Urteil vom 4. Oktober 2021, 6 K 1408/21.TR, S. 9 f.

  45. Angesichts der Kürze der Zeit, die zwischen Erlass dem Erlass der Allgemeinverfügung und deren Erledigung lag, konnte der Kläger auch keinen den Anforderungen an die Gewährung effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG genügenden Rechtsschutz erlangen. Dabei steht der Annahme eines Feststellungsinteresses nicht entgegen, dass die Kammer bereits über einen entsprechenden Eilantrag des Klägers entschieden hat. Denn Art. 19 Abs. 4 GG vermittelt in Anbetracht der Schwere des mit der Maßnahme verbundenen Grundrechtseingriffs dem Kläger einen Anspruch auf eine vollständige, wirksame gerichtliche Überprüfung.
  46. Die Klage ist allerdings unbegründet. Die Änderung der Allgemeinverfügung der Beklagten vom 16. April 2021 zur regionalen Anpassung der Coronaschutzverordnung NRW an des Infektionsschutzgeschehen in der Stadt Köln vom 2. Oktober 2020 war hinsichtlich der in § 1 Nr. 1a geregelten Ausgangsbeschränkung rechtmäßig und hat den Kläger nicht in seinen Rechten verletzt, §§ 113 Abs. 1, Abs. 4 VwGO.
  47. Maßgeblicher Zeitpunkt für die gerichtliche Überprüfung des erledigten Verwaltungsakts im Sinne von § 35 Satz 2 VwVfG NRW ist der gesamte Zeitraum zwischen der Bekanntgabe und dem Zeitablauf der Ausgangsbeschränkung. Bei einer Fortsetzungsfeststellungklage kommt es grundsätzlich auf die zum Zeitpunkt der Erledigung des angegriffenen Verwaltungsaktes maßgebliche bestehende Sach- und Rechtslage an. Da es sich vorliegend jedoch um einen Dauerverwaltungsakt handelte und es der Beklagten danach im Zeitraum zwischen der Bekanntgabe und dem Zeitablauf jederzeit möglich war, die Allgemeinverfügung aufgrund einer Änderung der tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse aufzuheben oder zu ändern, ist es sachgerecht, die gerichtliche Rechtmäßigkeitsprüfung auf den gesamten Zeitraum der Geltungsdauer zu erstrecken.
  48. In dem so bestimmten maßgeblichen Beurteilungszeitraum - 17. April 2021 bis einschließlich 17. Mai 2021 - beruhte die Allgemeinverfügung auf einer tauglichen Ermächtigungsgrundlage und war formell sowie materiell rechtmäßig.
  49. Ermächtigungsgrundlage für die Anordnung der Ausgangsbeschränkung war § 28 Abs. 1 Satz 1 des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) in der Fassung vom 18. November 2020 (BGBl. I S. 2397) i.V.m. §§ 28 a Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 IfSG in der Fassung vom 29. März 2021 (BGBl. I S. 370). Nach § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG trifft die Behörde die notwendigen Schutzmaßnahmen, insbesondere die in § 28a Absatz 1 und in den §§ 29 bis 31 genannten, soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist, wenn Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider festgestellt werden oder es sich ergibt, dass ein Verstorbener krank, krankheitsverdächtig oder Ausscheider war. Gemäß § 28 a Abs. 1 Nr. 3 IfSG können notwendige Schutzmaßnahmen im Sinne des § 28 Absatz 1 Satz 1 und 2 zur Verhinderung der Verbreitung von Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19) für die Dauer der Feststellung einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite nach § 5 Absatz 1 Satz 1 durch den Deutschen Bundestag insbesondere Ausgangs- oder Kontaktbeschränkungen im privaten sowie im öffentlichen Raum sein.
  50. Es ist nicht zu beanstanden, dass die streitgegenständliche Ausgangsbeschränkung in Form einer Allgemeinverfügung im Sinne von § 35 Satz 2 VwVfG NRW ergangen ist. Denn bei der Anordnung dieser Schutzmaßnahme handelte es sich um die Regelung eines Einzelfalls für einen bestimmten bzw. bestimmbaren Personenkreis. Mit der Verfügung wurde auf eine konkrete Infektionsgefahr, die in der Steigerung der 7-Tage-Inzidenz auf über 100 zum Ausdruck kam, reagiert. Die Geltung sowohl bei Bekanntgabe als auch bei der Verlängerung war auf jeweils knapp zwei Wochen begrenzt.
  51. Vgl. VG Trier, Urteil vom 4. Oktober 2021, 6 K 1408/21.TR, S. 13 f.

  52. Auch die formelle Rechtmäßigkeit der Allgemeinverfügung ist gegeben. Insbesondere konnte gemäß § 28 Abs. 1 Nr. 4 VwVfG NRW von einer Anhörung abgesehen werden.
  53. Die Allgemeinverfügung genügt auch in materiell-rechtlicher Hinsicht den Voraussetzungen des § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG. Bei der Coronavirus-Krankheit handelt es sich um eine übertragbare Krankheit im Sinne des § 2 Nr. 3 IfSG. Zudem sind auch Kranke, Krankheitsverdächtige und Ansteckungsverdächtige festgestellt worden. Darüber hinaus hatte der Deutsche Bundestag, wie von § 28a IfSG vorausgesetzt wird, am 25. März 2020 aufgrund der Ausbreitung des Coronavirus in Deutschland eine epidemische Lage von nationaler Tragweite festgestellt und deren Fortbestehen am 4. März 2021 für den vorliegend maßgeblichen Zeitraum bestätigt.
  54. Die Beklagte konnte mit der streitgegenständlichen Ausgangsbeschränkung eine über die bereits landesweit im Verordnungswege angeordneten Infektionsschutzmaßnahmen hinausgehende Maßnahme treffen. Gemäß § 16a Abs. 2 (ab dem 23. April 2021 gemäß § 16 Abs. 2) der Verordnung zum Schutz vor Neuinfizierungen mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 (CoronaSchVO) war die Beklagte sogar zur Prüfung zusätzlicher Schutzmaßnahmen verpflichtet, wenn die 7-Tages-Inzidenz im Stadtgebiet „nachhaltig“ und „signifikant“ über einem Wert von 100 lagen. Beides stand für die Stadt Köln für den maßgeblichen Zeitraum außer Frage. Die Inzidenzzahl von 100 wurde seit dem 15. März 2021 dauerhaft überschritten. Es zeigte sich eine kontinuierliche Entwicklung bis zu einem Wert von 208,4 am 22. April 2021,
  55. vgl. VG Köln, Beschluss vom 22. April 2021, 7 L 736/21, juris, Rn. 16.

  56. die am 25. April 2021 einen Höchstwert von 255,6 erreichte, zum Zeitpunkt der Verlängerung am 3. Mai 2021 bei 188,8 lag und erstmalig am 15. Mai 2021 den Wert von 100 unterschritt.
  57. Auch nach dem Inkrafttreten des § 28b Abs. 1 IfSG am 23. April 2021 und dem unmittelbaren Vorliegen der Voraussetzungen der „Bundesnotbremse“ im Stadtgebiet war die Beklagte nicht an der Aufrechterhaltung und der Verlängerung der streitgegenständlichen Ausgangsbeschränkung gehindert. Denn gemäß § 28b Abs. 5 IfSG blieben weitergehende Schutzmaßnahmen auf Grundlage dieses Gesetzes unberührt. Danach galten sowohl die landesrechtlichen Vorschriften als auch die städtisch angeordneten Maßnahmen fort und traten nur dann hinter den bundrechtlichen Vorschriften zurück, wenn § 28b IfSG inhaltsgleiche oder weitergehende Schutzmaßnahmen anordnete. Dies war vorliegend nicht der Fall.
  58. Mit dem Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen des § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG war die Beklagte zum Handeln verpflichtet. Denn hinsichtlich des „Ob“ des Tätigkeitwerdens handelt es sich um eine gebundene Entscheidung.
  59. Vgl. BVerwG, Urteil vom 22. März 2012, 3 C 16.11, juris, Rn 23.

  60. Hinsichtlich der Art und des Umfangs („Wie“) der zu treffenden Schutzmaßnahmen räumt § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG der Behörde ein Auswahlermessen ein. § 28 Abs. 1 IfSG liegt die Erwägung zugrunde, dass sich die Bandbreite der Schutzmaßnahmen, die bei Auftreten einer übertragbaren Krankheit in Frage kommen können, nicht im Vorfeld bestimmen lässt. Der Begriff der „Schutzmaßnahmen“ ist folglich umfassend und eröffnet der Infektionsschutzbehörde ein möglichst breites Spektrum geeigneter Maßnahmen. Der Kreis möglicher Schutzmaßnahmen wird nach dem Wortlaut des § 28 Abs. 1 IfSG dadurch begrenzt, dass die in Rede stehende Schutzmaßnahme im konkreten Einzelfall notwendig sein muss. Diese Einschränkung ist Ausdruck des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit. Der Staat darf nicht alle Maßnahmen und auch nicht solche Maßnahmen anordnen, die von Einzelnen in Wahrnehmung ihrer Verantwortung gegenüber sich selbst und Dritten bloß als nützlich angesehen werden. Vielmehr dürfen staatliche Behörden nur solche Maßnahmen verbindlich anordnen, die zur Erreichung infektionsschutzrechtlich legitimer Ziele objektiv notwendig sind. Diese Notwendigkeit ist während der Dauer einer angeordneten Maßnahme von der zuständigen Behörde fortlaufend zu überprüfen.
  61. Vgl. BVerfG, Beschl. v. 10. April 2020, 1 BvQ 31/20, juris, Rn. 16.

  62. Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe sind Ermessensfehler der Beklagten hinsichtlich der Ausübung ihres Auswahlermessens nicht ersichtlich. Ihre Erwägungen in der Änderung der Allgemeinverfügung vom 16. April 2021 sind vor dem Hintergrund des nach § 114 Satz 1 VwGO eingeschränkten Prüfungsumfangs der Gerichte rechtlich nicht zu beanstanden. Die Anordnung der Ausgangsbeschränkung genügte insbesondere dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz.
  63. Die Beklagte verfolgte mit der angeordneten Ausgangsbeschränkung legitime Zwecke. Ziele waren die Verhinderung der weiteren Verbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 und vor allem die Eindämmung seiner Verbreitungsgeschwindigkeit zum Schutz der Bevölkerung vor von einem massenhaften Infektionsgeschehen ausgehenden Gefahren, insbesondere zur Verhinderung einer Überlastung des Gesundheitswesens.
  64. Vgl. so auch VG Düsseldorf, Beschluss vom 21. April 2021, 24 L 849/21, juris, Rn. 31.

  65. Entgegen der klägerischen Auffassung war das angeordnete Mittel - aus der allein maßgeblichen ex-ante-Perspektive - zur Erreichung dieser Ziele auch geeignet. Denn der Begründung der Beklagten ist zu entnehmen, dass die Maßnahme nicht auf die Kontaktreduzierung im Freien, sondern vielmehr auf die Beschränkung der abendlichen privaten Kontakte in Innenräumen gerichtet war.
  66. Angestrebt war danach eine weitere Reduzierung privater Kontakte. Es sollte verhindert werden, dass abends und nachts Häuser und Wohnungen verlassen werden, um andere Häuser und Wohnungen aufzusuchen und dort soziale Kontakte zu pflegen. Die Beklagte hat nachvollziehbar unter der Berücksichtigung ihr vorliegender Mobilitätsdaten ausgeführt, dass die Ausgangsbeschränkung in dem gewählten Zeitraum zu einer Einschränkung der Kontakte um etwa 10 %, bezogen auf den gesamten Tag, führte.
  67. Vgl. so auch VG Köln, Beschluss vom 22. April 2021, 7 L 736/21, juris, Rn. 17; zur allgemeinen Geeignetheit von Ausgangsbeschränkungen: Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 22. April 2021,13 B 610/2, juris, Rn. 10 - 27; VG Düsseldorf, Beschluss vom 21. April 2021, 24 L 849/21, juris, Rn. 33 - 46.

  68. Die Ausgangsbeschränkung zwang betroffene Personen auch nicht zum Verweilen in fremden Haushalten, so dass ihre Anordnung hinsichtlich der Verhinderung einer weiteren Verbreitung des Virus auch nicht ungeeignet war. Denn der Regelung war unmissverständlich zu entnehmen, dass sich Betroffene bereits um 21.00 Uhr in ihrer eigenen Wohnung oder ihrem eigenen Haus aufhalten sollte. Die Argumentation des Klägers, dass die Ausgangsbeschränkung insoweit das Infektionsrisiko nicht verringere, sondern erhöhe, überzeugt danach nicht.
  69. Dass die Maßnahme lediglich zu einer Vorverlagerung der Kontakte in Innenräumen geführt haben soll, überzeugt die Kammer ebenso wenig. Es wird zwar nicht in Abrede gestellt, dass in Einzelfällen von einer solchen Vorverlagerung der abendlichen Aktivitäten auszugehen war. Dass die Maßnahme jedoch in rechtserheblicher Art und Weise ungeeignet gewesen sein soll, ist nicht ersichtlich. Bereits vor dem Hintergrund typischer Tages- und Wochenrhythmen in der Bevölkerung - Arbeit, Schule, Studium, Kinderbetreuung - ist es lebensfremd, die Möglichkeit einer solchen Vorverlagerung anzunehmen.
  70. Die streitgegenständliche Ausgangsbeschränkung war auch erforderlich. Erforderlich ist ein Eingriff in grundrechtliche Schutzgüter grundsätzlich, wenn kein anderes, für die Zielerreichung gleich wirksames, aber das Schutzgut nicht oder weniger stark einschränkendes Mittel hätte eingesetzt werden können. Insbesondere waren mit Blick auf die Effektivität der Gefahrenabwehr auf einzelne Stadtteile begrenzte Ausgangsbeschränkungen nicht in gleicher Weise geeignet, wie eine stadtweit geltende Beschränkung. Die Kammer hält an ihrer Auffassung fest, dass solche Ausgangsbeschränkungen vor dem Hintergrund fließend ineinander übergehender Stadtviertelgrenzen nicht praktikabel waren.
  71. Vgl. VG Köln, Beschluss vom 23. April 2021, 7 L 713/21.

  72. Der Effektivität der Gefahrenabwehr liegt zudem der Gedanke zugrunde, dass Maßnahmen freiwillig befolgt und auch akzeptiert werden. Es bestehen erhebliche Zweifel daran, dass eine auf einzelne Stadtviertel beschränkte Ausgangsbeschränkung diese Akzeptanz gefunden hätte.
  73. Die Anordnung der Ausgangsbeschränkung war auch unter Berücksichtigung der besonderen Vorgaben des § 28a Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 IfSG erforderlich. Danach ist die Anordnung einer Ausgangsbeschränkung nur dann zulässig, soweit auch bei Berücksichtigung aller bisher getroffenen anderen Schutzmaßnahmen eine wirksame Eindämmung der Verbreitung der Coronavirus-Krankheit-2019 erheblich gefährdet wäre.
  74. Der Gesetzgeber grenzt hiermit das Auswahlermessen hinsichtlich der in § 28a Abs. 1 IfSG geregelten Schutzmaßnahmen ein, da die in §§ 28a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 - Nr.3 IfSG genannten Schutzmaßnahmen mit erheblichen Eingriffen in Individualgrundrechte verbunden sind. Die Anordnung einer Ausgangsbeschränkung soll danach nur nach diesen qualifizierten Voraussetzungen möglich sein.
  75. Vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit, BT-Drs. Nr. 19/24334, Seite 73.

  76. Die frühere Auffassung der Kammer, dass die Anordnung einer Ausgangsbeschränkung „in der Tat die ultima ratio“ sei, wird im Hauptsacheverfahren nicht mehr vertreten. Dass der Gesetzgeber ein solches Verständnis dem § 28a Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 IfSG zugrunde gelegt hat, ist schon den Gesetzesmaterialien nicht zu entnehmen.
  77. Vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit, BT-Drs. Nr. 19/24334, Seite 73.

  78. Auch der Wortlaut der Vorschrift liefert keinerlei Anhaltspunkte für eine solche Auslegung. Normativer Bezugspunkt von Ausgangsbeschränkungen ist allein die erhebliche Gefährdung der Pandemieeindämmung unter Berücksichtigung der bisherigen Schutzmaßnahmen. Zu Ausgangsbeschränkungen darf es danach kommen, wenn sich das Infektionsgeschehen trotz bisheriger Maßnahmen erheblich verschärft.
  79. Vgl. VG Düsseldorf, Beschluss vom 21. April 2021, 24 L 849/21, juris, Rn. 20.

  80. Die Anordnung der Ausgangsbeschränkung genügte diesen strengen Anforderungen an die Erforderlichkeit. Hierfür spricht die von der Beklagten in der Begründung vom 16. April 2021 aufgezeigte Entwicklung der Infektionslage im Stadtgebiet mit einer 7-Tages-Inzidenz, die seit dem 15. März 2021 dauerhaft über dem Wert von 100, am Tag der streitgegenständlichen Änderung bei einem Wert von 179 und am 25. April 2021 sogar einen Höchstwert von 255,6 erreichte. Es ist auch zu berücksichtigen, dass die Beklagte zuvor bereits verschiedenste Mittel mit dem Ziel der Kontaktreduzierung ergriffen hatte, ohne dass der Beitrag eines jeden einzelnen Mittels mit letzter Verlässlichkeit festgestellt und gewichtet werden konnte und die Inzidenzzahl dennoch nicht zurückgegangen war. Die Beklagte verlängerte die Ausgangsbeschränkung und verwies dabei auf eine Inzidenz von 188,8 am 3. Mai 2021, der danach höher war, als der Wert im Zeitpunkt der Anordnung der Maßnahme. Diese dargestellte Entwicklung der Infektionslage ging erst Mitte Mai 2021 zurück, nachdem die 7-Tages-Inzidenz am 15. Mai 2021 erstmalig bei einem Wert von unter 100 lag.
  81. Der Annahme der Erforderlichkeit im Sinne von § 28a Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 IfSG stand nicht entgegen, dass bereits zuvor erfolgte Verschärfungen von Infektionsmaßnahmen, wie die am 5. Februar 2021 angeordneten Kontaktbeschränkungen im privaten Raum, durch gesteigerte Kontrollen besser durchgesetzt werden konnten. Auch im Rahmen dieses Hauptsacheverfahrens ist maßgeblich, dass die Beklagte in ihrer Begründung nachvollziehbar dargelegt hat, dass die zuvor angeordneten Kontaktbeschränkungen in personeller und organisatorischer Hinsicht sowie mit Blick auf den grundrechtlich von Art. 13 GG geschützten Bereich der Wohnung auch in rechtlicher Hinsicht schwer durchzusetzen gewesen wären.
  82. Vgl. Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 22. April 2021, 13 B 610/21, juris; a.A. OVG Lüneburg, Beschluss vom 6. April 2021, 13 ME 166/21, juris, Rn. 30 - 31.

  83. Die angeordnete Ausgangsbeschränkung war zudem angemessen. Angemessen ist eine Freiheitseinschränkung nur dann, wenn das Maß der Belastung des Einzelnen noch in einem vernünftigen Verhältnis zu den der Allgemeinheit erwachsenden Vorteilen steht. Um dies feststellen zu können, ist eine Abwägung zwischen den Gemeinwohlbelangen, deren Wahrnehmung der Eingriff in Grundrechte dient, und den Auswirkungen auf die Rechtsgüter der davon Betroffenen notwendig. Hierbei müssen die Interessen des Gemeinwohls umso gewichtiger sein, je empfindlicher der Einzelne in seiner Freiheit beeinträchtigt wird. Andererseits wird der Gemeinschaftsschutz umso dringlicher, je größer die Nachteile und Gefahren sind, die aus gänzlich freier Grundrechtsausübung erwachsen können.
  84. Vgl. BVerfG, Urteil vom 26. Februar 2020, 2 BvR 2347/15, BVerfGE 153, 182-310, Rn. 265, m. w. N.

  85. Die durch die Ausgangsbeschränkung beschränkte allgemeine Handlungsfreiheit im Sinne von Art. 2 Abs. 1 GG trat hinter dem Schutz von Leben und Gesundheit zurück.
  86. Vgl. Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 22. April 2021,13 B 610/2, juris, Rn. 40 – 51; VG Düsseldorf, Beschluss vom 21. April 2021, 24 L 849/21, juris, Rn. 55.

  87. Zwar wird die allgemeine Handlungsfreiheit in einem umfassenden Sinne gewährleistet. Dieser Schutz besteht danach zweifelsohne auch hinsichtlich des Rechts, abends und nachts das Haus zu verlassen, um zu joggen oder spazieren zu gehen, andere zu besuchen oder jeder anderen denkbaren legalen Tätigkeit nachzugehen. Dieser Schutz steht jedoch unter dem Vorbehalt der verfassungsrechtlichen Ordnung, der mit Blick auf die von der Ausgangsbeschränkungen verfolgten legitimen Ziele letztlich dem Lebensschutz dienen, der sich grundrechtlich in Art. 2 Abs. 2 GG widerspiegelt.
  88. Im Rahmen der Abwägung war zu berücksichtigen, dass die Ausgangbeschränkung für den Zeitraum von 21.00 Uhr bis 05.00 Uhr etwa 10 %, mithin einen verhältnismäßig geringen Anteil der Gesamtmobilität der Bevölkerung betraf. Schließlich waren die erstmalige Anordnung und auch die spätere Verlängerung der Maßnahme auf einen Geltungszeitraum von jeweils knapp zwei Wochen befristet.
  89. Vgl. VG Köln, Beschluss vom 22. April 2021, 7 L 736/21, juris, Rn. 21.

  90. Ähnliche Erwägungen liegen im Übrigen dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 19. November 2021 (Az.: 1 BvR 781/21 u.a.) zugrunde, wonach die Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen im Sinne von § 28b Abs.1 Nr. 1 und 2 IfSG verfassungsrechtlich zulässig und insbesondere verhältnismäßig waren.
  91. Vgl. BVerfG, Beschluss vom 19. November 2021, 1 BvR 781/21, BVerfGE 159, 223-355, juris, Rn. 289 - 303.

  92. Danach ist auch im Fall der streitgegenständlichen Ausgangsbeschränkung zu berücksichtigen, dass die Beklagte durch die Regelung der Ausnahmetatbestände in § 1 Nr. 1a Satz 2 der Allgemeinverfügung die entgegenstehenden Belange berücksichtigt hat. Dieser Katalog war mit Blick auf § 1 Nr. 1a Satz 2 lit. g zudem auch nicht abschließend geregelt, sodass die Intensität der Grundrechtseingriffe gemildert waren.
  93. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
  94. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
  95. Rechtsmittelbelehrung

  96. Gegen dieses Urteil steht den Beteiligten die Berufung an das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen zu, wenn sie von diesem zugelassen wird. Die Berufung ist nur zuzulassen, wenn
  97. 1. ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,
  98. 2. die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,
  99. 3. die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
  100. 4. das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
  101. 5. ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.
  102. Die Zulassung der Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils bei dem Verwaltungsgericht Köln, Appellhofplatz, 50667 Köln, schriftlich zu beantragen. Der Antrag auf Zulassung der Berufung muss das angefochtene Urteil bezeichnen.
  103. Die Gründe, aus denen die Berufung zugelassen werden soll, sind innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils darzulegen. Die Begründung ist schriftlich bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster, einzureichen, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist.
  104. Auf die ab dem 1. Januar 2022 unter anderem für Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts geltende Pflicht zur Übermittlung von Schriftstücken als elektronisches Dokument nach Maßgabe der §§ 55a, 55d Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV) wird hingewiesen.
  105. Vor dem Oberverwaltungsgericht und bei Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht eingeleitet wird, muss sich jeder Beteiligte durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten lassen. Als Prozessbevollmächtigte sind Rechtsanwälte oder Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, die die Befähigung zum Richteramt besitzen, für Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts auch eigene Beschäftigte oder Beschäftigte anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts mit Befähigung zum Richteramt zugelassen. Darüber hinaus sind die in § 67 Abs. 4 der Verwaltungsgerichtsordnung im Übrigen bezeichneten ihnen kraft Gesetzes gleichgestellten Personen zugelassen.
  106. Die Antragsschrift sollte zweifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung eines elektronischen Dokuments bedarf es keiner Abschriften.
  107. Beschluss

  108. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf
  109. 5.000,00 €
  110. festgesetzt
  111. Gründe

  112. Der festgesetzte Streitwert entspricht dem gesetzlichen Auffangstreitwert im Zeitpunkt der Klageerhebung (§ 52 Abs. 2 GKG).
  113. Rechtsmittelbelehrung
  114. Gegen diesen Beschluss kann schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle, Beschwerde bei dem Verwaltungsgericht Köln, Appellhofplatz, 50667 Köln eingelegt werden.
  115. Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, einzulegen. Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, so kann sie noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
  116. Auf die ab dem 1. Januar 2022 unter anderem für Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts geltende Pflicht zur Übermittlung von Schriftstücken als elektronisches Dokument nach Maßgabe der §§ 55a, 55d Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV) wird hingewiesen.
  117. Die Beschwerde ist nur zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200 Euro übersteigt.
  118. Die Beschwerdeschrift sollte zweifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung eines elektronischen Dokuments bedarf es keiner Abschriften.