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Chronologie der Ereignisse:

Gericht meint, das Betreten der eigenen Zweitwohnung gefährde die Gesundheit anderer.

VG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 20.03.2020, Gz. 1 B 12/20

Zusammenfassung

Eine Behörde verbietet, die Zweitwohnung zu nutzen. Grund: Schutz der medizinischen Versorgung. Der Wohnungsinhaber wehrt sich gerichtlich im Eilverfahren dagegen. Das Gericht lehnt den Antrag ab.

Anmerkung

Stellen Sie sich vor: Sie haben eine Zweitwohnung, doch der Staat verbietet es Ihnen, diese zu betreten. Begründung: Die Nutzung der Zweitwohnung sei gefährlich! Sie gefährde die medizinische Versorgung. Das klingt nicht nur weit hergeholt, das ist es auch. Dennoch: das war Realität in Deutschland im Jahre 2020.

Erfreulicherweise sieht das Gericht ein:

Die Kammer kann vorliegend in der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit weder die offensichtliche Rechtmäßigkeit noch die offensichtliche Rechtswidrigkeit (…) feststellen.

Es handelt sich um eine Entscheidung im Eilrechtsschutz. Um eine schnelle Entscheidung herbeizuführen, nimmt das Gesetz eine gewisse Oberflächlichkeit in Kauf – z.B. dadurch, dass der Sachverhalt gerade nicht bis ins Detail aufgeklärt wird. Diese Oberflächlichkeit hat erstmal nichts mit der behaupteten Pandemie zu tun, sondern ist seit jeher im Gesetz angelegt und ist ein Eingeständnis daran, dass man eine schnelle Entscheidung haben will. Dies bedeutet jedoch nicht, dass das Gericht einen Sachverhalt unterstellen darf, der nicht gegeben ist – dies ist bei dieser Entscheidung jedoch leider der Fall.

So überlegt das Gericht, welche Folgen für die Allgemeinheit bestehen würden, wenn die Behörde das Verbot nicht ausgesprochen hätte. Dabei unterstellt das Gericht einen Sachverhalt, für dessen Vorliegen es keinen Anhaltspunkt gibt:

Es dürfte allgemein bekannt sein, dass derzeit noch weder in ausreichendem Maß die in absehbarer Zeit notwendig werdenden Intensivbetten noch das ausreichende Pflegepersonal flächendeckend zur Verfügung steht.

Diese Behauptung des Gerichts entsprach nicht den Tatsachen und war folgerichtig auch nicht allgemein bekannt. Das Gericht legt auch nicht offen, wie es zu seiner Meinung kommt. Das DIVI-Intensivregister stand zum Entscheidungszeitpunkt noch gar nicht zur Verfügung. Allerdings zeigen die Zahlen des DIVI aus dem Folgemonat, dass sich kaum Covid-19-Patienten auf den Intensivstationen befanden und diese kurze Zeit später bereits nur noch einen sehr geringen Anteil im niedrigen einstelligen Prozentbereich an der Gesamtkapazität ausmachten (Ende April: ca. 8,5%; Ende Mai: ca. 2,3%, Ende Juni: ca.1,2%). Die Zahlen können hier (externer Link zu Statista.com) nachgelesen werden.

Wie also kommt ein Gericht dazu, es als allgemein bekannt anzusehen, dass weder ausreichend Intensivbetten noch Pflegepersonal zur Verfügung steht, obwohl dies nicht annähernd der Realität entspricht? Kann es sein, dass das Gericht auf lautstarke, aber haltlose Behauptungen aus der Politik hereingefallen ist? Es sieht fast so aus. Dass die Äußerungen von Politikern sich jedoch häufig nicht mit der Realität in Einklang bringen lassen, ist allgemein bekannt – und dieses Gerede rückt nicht näher an die Wahrheit heran, indem es nahezu endlos von den Medien – insbesondere den öffentlich-rechtlichen – wiederholt wird.

Obwohl also tatsächlich nicht annähernd eine Auslastung der Intensivstationen vorlag, sondern seitens des Gerichts lediglich behauptet wurde, gehen die Richter sogar noch einen Schritt weiter und meinen:

Die Sicherung der Leistungskapazität medizinischer Versorgung hängt mithin ebenfalls davon ab, dass sich nicht eine weitere Anzahl auswärtig ansässiger Personen im Gebiet des Antragsgegners aufhält.

Auf welche Grundlage die Richter diesen Gedankengang stellen, offenbaren sie nicht, sondern stellen lediglich eine weitere – unbegründete – Behauptung auf.

Die Entscheidung des Gerichts:


Orientierungssatz

  1. Streiten auf Seiten des öffentlichen Interesses überragende Gründe der Abwehr von Gefahren für die Gesundheit der Bevölkerung und der Sicherstellung der Leistungsfähigkeit der ärztlichen, insbesondere krankenhausärztlicher (Intensiv-)Versorgung für die Bevölkerung, setzt gegenüber diesem gewichtigen öffentlichen Interesse ein im Rahmen der Folgenabwägung überwiegendes privates Interesse voraus, dass im Einzelfall Umstände vorliegen, die so gewichtig sind, dass entgegen der gesetzgeberischen Anordnung in §§ 28 Abs. 3, 16 Abs. 8 IfSG eine vorläufige Aussetzung der Vollziehung angezeigt ist.(Rn.11) (Rn.12) (Rn.13)

  2. Grundsätzlich ist es nicht unzumutbar, die Betroffenen auf die Nutzung ihrer Hauptwohnung zu verweisen. Im Ausnahmefall kann dies dann unzumutbar sein, wenn besondere individuelle Umstände hinzutreten, aufgrund derer die kurzfristige Nutzung der Hauptwohnung unverhältnismäßig ist und die Folgen für die Betroffenen einen gravierenden Eingriff in besonders gewichtige Individualrechtsgüter darstellt. Dies kann sich dann ergeben, wenn bereits die Rückreise zur Hauptwohnung eine schwerwiegende gesundheitliche Gefahr darstellt oder aber sich diese Gefahr durch die Ankunft und den weiteren Verbleib in der Hauptwohnung ergibt.(Rn.14)

Tenor

  • Der Antrag wird abgelehnt.

  • Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.

  • Der Streitwert wird auf 5.000 € festgesetzt.

Entscheidungsgründe

  1. Der vorläufige Rechtsschutzantrag ist als Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen die Allgemeinverfügung des Antragsgegners vom 20. März 2020 nach § 80 Abs. 5 Satz 1 1. Alt. VwGO zulässig, jedoch nicht begründet.

  2. Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 1. Alt. VwGO iVm § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO kann das Gericht in dem vorliegenden Fall des nach § 28 Abs. 3 i.V.m. § 16 Abs. 8 IfSG gesetzlich angeordneten Sofortvollzuges die aufschiebende Wirkung des Widerspruches ganz oder teilweise anordnen. Die gerichtliche Entscheidung ergeht dabei auf der Grundlage einer umfassenden Interessenabwägung. Gegenstand der Abwägung sind das Aufschubinteresse des Antragstellers einerseits und das öffentliche Interesse an der Vollziehung des streitbefangenen Verwaltungsaktes andererseits. Im Rahmen dieser Interessenabwägung können auch Erkenntnisse über die Rechtmäßigkeit und die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes, der vollzogen werden soll, Bedeutung erlangen, allerdings nicht als unmittelbare Entscheidungsgrundlage, sondern als in die Abwägung einzustellende Gesichtspunkte, wenn aufgrund der gebotenen summarischen Prüfung Erfolg oder Misserfolg des Rechtsbehelfs offensichtlich erscheinen. Lässt sich bei der summarischen Überprüfung die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides ohne weiteres feststellen, ist sie also offensichtlich, so ist die aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs anzuordnen, weil an einer sofortigen Vollziehung eines offensichtlich rechtswidrigen Bescheides kein öffentliches Interesse bestehen kann. Erweist sich nach der genannten Überprüfung der angefochtene Bescheid als offensichtlich rechtmäßig, so führt dies in Fällen des gesetzlich angeordneten Sofortvollzuges regelmäßig dazu, dass der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung abzulehnen ist.

  3. Lässt sich nach der im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO gebotenen summarischen Überprüfung weder die offensichtliche Rechtmäßigkeit noch die offensichtliche Rechtswidrigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes mit der erforderlichen Sicherheit feststellen, so ergeht die Entscheidung aufgrund einer weiteren Interessenabwägung, in der zum einen die Auswirkungen in Bezug auf das öffentliche Interesse in dem Fall, dass dem Antrag stattgegeben wird, der Rechtsbehelf im Hauptsacheverfahren indes erfolglos bleibt, und zum anderen die Auswirkungen auf den Betroffenen für den Fall der Ablehnung eines Antrags und des erfolgreichen Rechtsbehelfs in der Hauptsache gegenüberzustellen sind. Bei dieser Interessenabwägung ist jeweils die Richtigkeit des Vorbringens desjenigen als wahr zu unterstellen, dessen Position gerade betrachtet wird, soweit das jeweilige Vorbringen ausreichend substantiiert und die Unrichtigkeit nicht ohne weiteres erkennbar ist (OVG Schleswig, Beschluss vom 13. September 1991 – 4 M 125/91 –, Rn. 14, juris; Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht, Beschluss vom 11. September 2017 – 1 B 128/17 –, Rn. 28 - 29, juris).

  4. Die Kammer kann vorliegend in der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit weder die offensichtliche Rechtmäßigkeit noch die offensichtliche Rechtswidrigkeit der ergangenen Allgemeinverfügung im Hinblick auf das geforderte Verlassen des Ortes der Nebenwohnung feststellen.

  5. Die streitgegenständliche Allgemeinverfügung könnte jedenfalls ihre Rechtsgrundlage in § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG finden. Danach trifft die zuständige Behörde, wenn Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider festgestellt werden, die notwendigen Schutzmaßnahmen, soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist. Es handelt sich um eine Generalklausel, die die zuständigen Behörden zum Handeln verpflichtet (sog. gebundenen Entscheidung). Hinsichtlich Art und Umfang der Bekämpfungsmaßnahmen – "wie" des Eingreifens – ist der Behörde ein Ermessen eingeräumt. Dem liegt die Erwägung zugrunde, dass sich die Bandbreite der Schutzmaßnahmen, die bei Auftreten einer übertragbaren Krankheit in Frage kommen können, nicht im Vorfeld bestimmen lässt. Das behördliche Ermessen wird dadurch beschränkt, dass es sich um "notwendige Schutzmaßnahmen" handeln muss, nämlich Maßnahmen, die zur Verhinderung der (Weiter-) Verbreitung der Krankheit geboten sind. Darüber hinaus sind dem Ermessen durch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Grenzen gesetzt.

  6. Bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit der verfügten Beschränkungen ist der im allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht geltende Grundsatz heranzuziehen, dass an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts umso geringere Anforderungen zu stellen sind, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist. Dafür sprechen das Ziel des Infektionsschutzgesetzes, eine effektive Gefahrenabwehr zu ermöglichen (§ 1 Abs. 1, § 28 Abs. 1 IfSG), sowie der Umstand, dass die betroffenen Krankheiten nach ihrem Ansteckungsrisiko und ihren Auswirkungen auf die Gesundheit des Menschen unterschiedlich gefährlich sind. Es erscheint sachgerecht, einen am Gefährdungsgrad der jeweiligen Erkrankung orientierten, "flexiblen" Maßstab für die hinreichende (einfache) Wahrscheinlichkeit zugrunde zu legen (VG Bayreuth, Beschluss vom 11. März 2020 – B 7 S 20.223 –, Rn. 44 - 45, juris).

  7. Sind Schutzmaßnahmen erforderlich, so können diese grundsätzlich nicht nur gegen die in Satz 1 genannten Personen, also gegen Kranke, Krankheitsverdächtige, ansteckungsverdächtige oder Ausscheider getroffen werden, sondern – soweit erforderlich – auch gegenüber anderen Personen (Bales/Baumann/Schnitzler, Infektionsschutzgesetz, Kommentar, 2. Aufl. § 28 Rn. 3). Es bestehen keine Zweifel daran, dass es sich bei der Erkrankung COVID-19 um eine übertragbare Krankheit im Sinne des § 2 Nr. 3 IfSG handelt, so dass der Anwendungsbereich des 5. Abschnitts des Infektionsschutzgesetzes, der sich mit der Bekämpfung übertragbarer Krankheiten befasst, eröffnet ist (vgl. hierzu den Steckbrief des RKI zur Coronavirus-Krankheit:

  8. https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/ nCoV_node.html). Wenn für bestimmte Krankheiten wie Masern oder Lungenpest spezielle Vorschriften in das Infektionsschutzgesetz aufgenommen wurden, so bedeutet das keineswegs, dass eine neuartige bzw. neuerdings auf den Menschen übergegangene Infektionskrankheit von dem bereits im Wortlaut notwendigerweise weit weitgefassten Anwendungsbereich des Gesetzes ausgeschlossen wäre (VG Bayreuth, Beschluss vom 11. März 2020 – B 7 S 20.223 –, Rn. 48, juris). Es spricht vieles dafür, der Anwendungsbereich der Vorschrift im Einzelfall – soweit notwendig – auch die Anordnung zum Verlassen des Ortes der Nebenwohnung zur Sicherstellung der ausreichenden Versorgung der Bevölkerung mit erforderlich werdenden Notfallbehandlungen umfassen kann, auch wenn damit erheblich in die Rechte der betroffenen Bürger eingegriffen wird. Eine abschließende Prüfung der dadurch aufgeworfenen Rechtsfragen ist der Kammer in der Kürze des zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich.

  9. Es sind demnach in einer weitergehenden Interessenabwägung die Folgen gegenüberzustellen, die im Hinblick auf das öffentliche Interesse in dem Fall einträten, dass dem Antrag stattgegeben wird, der Rechtsbehelf im Hauptsacheverfahren indes erfolglos bleibt, und zum anderen die Auswirkungen auf den Betroffenen für den Fall der Ablehnung eines Antrags.

  10. Gemessen an diesen Maßstäben überwiegt im vorliegenden Fall das öffentliche Interesse an der sofortigen Durchsetzung der sich aus der Allgemeinverfügung ergebenden unverzüglichen Rückreiseverpflichtung das private Aufschubinteresse an einem weiteren Verbleib am Zweitwohnsitz über den 22. März 2020 hinaus.

  11. Vorliegend streiten auf Seiten des öffentlichen Interesses überragende Gründe der Abwehr von Gefahren für die Gesundheit der Bevölkerung und der Sicherstellung der Leistungsfähigkeit der ärztlichen, insbesondere krankenhausärztlicher (Intensiv-)Versorgung für die Bevölkerung. Hierbei ist nicht allein in den Blick zu nehmen, dass die Antragstellerin selbst möglicherweise (derzeit) nicht infiziert ist und von daher kein Ansteckungsrisiko für andere darstellt. Die aktuelle Infektionsgefahr ist bekanntermaßen insbesondere dadurch extrem risikobehaftet, dass bislang unentdeckt infizierte Personen sich im öffentlichen Raum bewegen und andere unwissentlich infizieren. Alltagskontakten etwa beim Einkaufen oder auf der Straße werden auch nach aller Lebenswahrscheinlichkeit Personen wie die Antragsteller ausgesetzt sein, sodass allein dadurch eine potentielle Erhöhung des Infektionsrisikos durch jede weitere hier aufhältliche Person anzunehmen ist. Vorliegend geht es auch bei der hier streitigen Allgemeinverfügung um den Schutz vor den Folgen der exponentiellen Ausbreitung des Corona-Virus SARS-CO-2.

  12. Ebenso ist die Sicherung medizinischer Kapazitäten, die nach den Grundsätzen der Krankenhausplanung im Wesentlichen ausgelegt sind auf die in Schleswig-Holstein mit Erstwohnsitz ansässige Bevölkerung, ein überwiegender öffentlicher Belang von erheblichem Gewicht. Es dürfte allgemein bekannt sein, dass derzeit noch weder in ausreichendem Maß die in absehbarer Zeit notwendig werdenden Intensivbetten noch das ausreichende Pflegepersonal flächendeckend zur Verfügung steht. Die Sicherung der Leistungskapazität medizinischer Versorgung hängt mithin ebenfalls davon ab, dass sich nicht eine weitere Anzahl auswärtig ansässiger Personen im Gebiet des Antragsgegners aufhält. Dabei ist dieser Aspekt ebenfalls nicht individuell zu betrachten, sondern ist als genereller Maßstab unabhängig von der nicht bekannten tatsächlichen Anzahl hier noch aufhältlicher Zweitwohnungsinhaber zugrunde zu legen. Indes ist davon auszugehen, dass sich noch eine nicht unbeachtliche Anzahl solcher Zweitwohnungsbesitzer hier aufhalten, da jedenfalls bis Mitte der Woche aus der Presse entnommen werden konnte, dass ein Verbleib der bereits hier aufhältlichen auswärtigen Personen möglich sei. Im Gebiet des Antragsgegners gibt es besonders viele Ferienwohnungen, die als Nebenwohnung genutzt werden.

  13. Gegenüber diesem gewichtigen öffentlichen Interesse setzt ein im Rahmen der Folgenabwägung überwiegendes privates Interesse voraus, dass im Einzelfall Umstände vorliegen, die so gewichtig sind, dass entgegen der gesetzgeberischen Anordnung in §§ 28 Abs. 3, 16 Abs. 8 IfSG eine vorläufige Aussetzung der Vollziehung angezeigt ist.

  14. Dabei ist zu berücksichtigen, dass bei der begehrten Nutzung der Nebenwohnung grundsätzlich davon auszugehen ist, dass den Betroffenen eine weitere Wohnung, nämlich ihre Hauptwohnung, zur Verfügung steht. Sollten sich diesbezüglich Komplikationen ergeben, ist dies zunächst gegenüber den dort zuständigen Behörden darzulegen, um die ggf. notwendige Vorkehrungen zu treffen. Grundsätzlich ist es nicht unzumutbar, die Betroffenen auf die Nutzung ihrer Hauptwohnung zu verweisen. Im Ausnahmefall kann dies jedoch dann unzumutbar sein, wenn besondere individuelle Umstände hinzutreten, aufgrund derer die kurzfristige Nutzung der Hauptwohnung unverhältnismäßig ist und die Folgen für die Betroffenen einen gravierenden Eingriff in besonders gewichtige Individualrechtsgüter darstellt. Dies kann sich dann ergeben, wenn bereits die Rückreise zur Hauptwohnung eine schwerwiegende gesundheitliche Gefahr darstellt oder aber sich diese Gefahr durch die Ankunft und den weiteren Verbleib in der Hauptwohnung ergibt. Insoweit sind die in Ziffer 2 der streitgegenständlichen Verfügung genannten Gründe nicht abschließend.

  15. Ein solches, überwiegendes Interesse ergibt sich nicht aus der Begründung des Antrags. Die Antragstellerin hat insbesondere nicht dargelegt, weshalb ein Kontakt mit dem besonders infektionsgefährdeten Sohn außerhalb dessen Nebenwohnung unumgänglich ist. Sie trägt vor, sie wolle mit ihrer Schwiegertochter, der Antragstellerin in dem Verfahren 1 B 11/20, und ihren Enkelkindern in der Nebenwohnung bleiben, weil ihr Sohn deren Hauptwohnung nach der Arbeit betrete und diese bewohne. Allerdings ergibt sich aus ihrem Vortrag, dass sie auf demselben Flurstück, auf dem sich die Hauptwohnung des Sohnes der Antragstellerin befindet, unter der Adresse A-Straße, A-Stadt wohnhaft ist. Aufgrund der abweichenden Adresse ist von einer räumlichen Trennung der beiden Wohnungen auszugehen. Jedenfalls wäre es vor diesem Hintergrund an der Antragstellerin, darzulegen, warum nicht sie nicht dorthin zurückkehren kann und auf diesem Wege eine Separierung der Familienmitglieder erfolgen kann. Im Übrigen steht der Antragstellerin noch die Möglichkeit offen, beim Antragsgegner eine Ausnahmegenehmigung zu beantragen, um ihre individuellen Gründe geltend zu machen.

  16. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO; der Streitwert wurde gem. § 63 Abs. 2, § 53 Abs. 2 Nr. 2 iVm § 52 Abs. 2 GKG festgesetzt.